»Das ist eine Schönheit«, sagte Dan atemlos und starrte auf das Radarbild auf der Schalttafel.
»Schön hässlich«, fand Pancho.
Das Radarbild zeigte einen länglichen unregelmäßigen Klumpen von Asteroiden. Ein Ende war abgerundet und mit Kratern übersät, das andere war durch einen Abdruck geprägt, der von der Faust eines Riesen zu stammen schien.
»Er sieht eher wie eine Kartoffel aus«, sagte Amanda. »Findet ihr nicht auch?«
»Eine Eisenkartoffel«, sagte Dan.
Fuchs kam durch die Luke, und plötzlich kam Dan die Brücke überfüllt vor. Lars ist zwar nicht groß, sagte er sich, aber er füllt einen Raum aus.
»Ist er das?«, fragte Fuchs und richtete den Blick auf den Bildschirm.
»Das ist er«, sagte Pancho über die Schulter. Sie tippte auf die Tastatur zur Linken, und ein alphanumerischer Datensatz erschien auf dem kleinen Monitor darüber. »Der vierzehnte Asteroid, der dieses Jahr entdeckt wurde.«
»Was ist das für ein Gefühl, wenn ein Asteroid nach einem benannt wird, Lars?«, fragte Pancho.
»Ein sehr gutes«, sagte Fuchs.
»Du bist seit Jahren der erste Mensch, dessen Name einem neu entdeckten Asteroiden verliehen wird«, sagte Amanda. Dan hatte den Eindruck, dass sie vor Freude strahlte.
»Die meisten neuen Asteroiden werden von den Asteroiden-Warnungssonden entdeckt«, sagte Pancho. »Die Namen dieser kleinen Sonden erscheinen allerdings nicht im Katalog.«
»Asteroid 41-014 Fuchs«, sagte Amanda atemlos.
Er lächelte und zuckte die Achseln — fast wand er sich, als sei ihre Begeisterung ihm peinlich.
»Der offizielle Name ist mir gleichgültig«, sagte Dan. »Ich werde sie jedenfalls Bonanza nennen.«
»Seit wann sind Asteroiden denn weiblich?«, fragte Pancho.
Das focht Dan nicht an. »Wir sprechen doch auch von Mutter Erde, oder? Und die Venus wird als unser Schwesterplanet bezeichnet, nicht wahr?«
»Und was ist mit dem Mars?«, wandte Pancho ein.
»Oder dem Jupiter«, sagte Amanda.
»Bonanza wird uns alle reich machen«, sagte Dan und wies auf den Brocken, der auf dem Radarschirm abgebildet wurde. »Und glücklich und zufrieden. Sie und ihre Schwestern werden nämlich die Welt retten. Sie ist auf jeden Fall eine Frau.«
»Natürlich ist sie eine Frau«, sagte Pancho lakonisch. »Du willst sie doch schließlich anbaggern, nicht wahr?«
Fuchs prustete, und Amanda sagte: »Aber wirklich, Pancho!«
»Was hast du nur für eine schmutzige Phantasie«, sagte Dan scheinbar ungerührt. »Aber das mag ich gerade an einer Frau.«
Nach drei Stunden hatten sie sich Bonanza so weit genähert, um sie mit eigenen Augen zu sehen: ein dunkler deformierter Klumpen, der im trüben Licht der fernen Sonne dunkel funkelte. Der Asteroid blendete die Sterne aus, während er um seine Querachse träge durch die kalte, stumme Leere des Alls taumelte.
»…achtzehnhundertvierzig Meter an der Längsachse«, gab Amanda die Radarmessung bekannt. »An der breitesten Stelle misst er siebenhundertzweiundsechzig Meter.«
»Fast zwei Kilometer lang«, sagte Dan nachdenklich. Er hatte die Brücke während der gesamten Annäherung an den metallischen Asteroiden nicht verlassen.
»Nehmen Restschub weg«, sagte Pancho, deren Aufmerksamkeit den Anzeigen der Steuerung galt.
»Schub runter auf Null«, bestätigte Amanda.
Der Asteroid wanderte aus dem Blickfeld, als die Piloten in eine Parkbahn um ihn einschwenkten. Dan spürte, wie das bisschen Gewicht verflog. Er hob vom Deck ab und bremste sich mit der Hand an der Decke ab.
Er spürte, wie Fuchs durch die Luke hinter ihm kam.
»Lars, wir werden für eine Weile in der Schwerelosigkeit driften«, sagte Dan.
»Ich weiß. Ich glaube, allmählich gewöhne ich mich daran.«
»Gut. Wenn du abrupte Kopfbewegungen vermeidest, wird es dir auch nicht schlecht.«
»Ja. Danke — mein Gott! Da ist er!«
Die dunkle unregelmäßige Form von Bonanza schob sich wie ein pockennarbiges Ungeheuer vor die Brückenfenster — Ehrfurcht gebietend und bedrohlich. Trotz seiner Freude verspürte Dan einen Anflug von Unbehagen. Das ist wie die Konfrontation mit einem Monster, sagte er sich, mit einer riesigen Bestie aus einem Märchen.
»Schaut euch diese Maserung an!«, sagte Fuchs mit vor Erregung vibrierender Stimme. »Dieser Asteroid muss von einem viel größeren Himmelskörper abgebrochen sein. Vielleicht von einem Kleinplaneten aus der Frühzeit des Sonnensystems! Wir müssen aussteigen, Proben nehmen und Kernbohrungen durchführen!«
Dan stieß ein Lachen aus. Fuchs drehte sich zu ihm um und schaute ihn verwirrt an. Sogar Pancho warf einen Blick über die Schulter.
»Was ist denn so lustig, Boss?«
»Nichts«, sagte Dan und versuchte sich wieder zu beruhigen. »Gar nichts«. Dennoch wunderte er sich darüber, dass derselbe Anblick, der in ihm Angstvorstellungen aus der Kindheit wachrief, bei Fuchs einen Anfall wissenschaftlicher Neugier auslöste.
»Kommt schon«, sagte Fuchs und schlüpfte durch die Luke. »Wir müssen die Anzüge anlegen und nach draußen gehen.«
Dan nickte zustimmend und folgte dem Wissenschaftler. Er hat die Schwerelosigkeit ganz vergessen, sagte er sich. Er hat keine Angst mehr, sich zu übergeben — dafür ist er jetzt viel zu beschäftigt.
Amanda blieb auf der Brücke, während Pancho Dan nach unten zur Luftschleuse folgte.
»Du spielst doch nicht etwa mit dem Gedanken einer EVA, oder?«, fragte sie Dan.
»Ich hatte mich schon zum Astronauten qualifiziert, als du noch nicht einmal geboren warst, Pancho.«
»Du hast einen roten Reiter. Du darfst nicht mehr nach draußen.«
»Und nachts ist es kälter als draußen.«
»Ich meine es ernst, Dan«, sagte Pancho. »Dein Immunsystem verkraftet keine weitere Strahlendosis mehr.«
»Fuchs kann aber doch nicht allein aussteigen«, gab er zu bedenken.
»Ich werde das übernehmen. Ich gehe mit ihm nach draußen.«
»Nichts da. Du bleibst hier. Ich werde auf ihn aufpassen.«
»Ich bin der Kapitän dieses Schiffs«, sagte Pancho dezidiert. »Ich könnte dir befehlen, drin zu bleiben.«
Er schaute sie mit einem schiefen Grinsen an. »Und ich bin der Eigner. Ich könnte dich feuern.«
»Nicht bevor wir wieder in Selene sind.«
Dan stieß einen ungeduldigen Seufzer aus. »Komm schon, Pancho, hör mit diesem Blödsinn auf.«
»Deine medizinischen Daten besagen aber…«
»Gottverdammt, es interessiert mich nicht, was die medizinischen Daten besagen! Ich will aussteigen! Ich will dieses Baby sehen! Es mit meinen Händen berühren.«
»Ohne Handschuhe?«
Sie hatten inzwischen die Luftschleuse erreicht, wo die Raumanzüge in Gestellen hingen wie eine Ausstellung von Ritterrüstungen. Fuchs saß auf der Bank vor den Gestellen. Er hatte bereits das Unterteil des Anzugs angelegt und schloss die Stiefel luftdicht mit den Beinen des Anzugs ab. Dan griff nach dem Anzug, auf dessen Oberteil sein Name stand.
»Ich dachte, du würdest dich vor der Strahlung fürchten«, sagte Pancho.
»Im Anzug wird mir nichts passieren«, sagte Dan. »Das Wetter ist ruhig da draußen; es gibt keinen Sonnensturm.«
Fuchs schaute wortlos zu ihnen auf.
»Die Vorschriften besagen…«
»Die Vorschriften besagen, dass man keine Haustiere an Bord bringen darf«, sagte Dan grinsend, als er die untere Anzughälfte aus dem Gestell zog und neben Fuchs Platz nahm. »Aber ich muss jeden Morgen einen Blick in die Schuhe werfen, um sicherzugehen, dass deine verdammte Schlange sich nicht darin zusammengerollt hat.«
»Schlange?«, rief Fuchs erschrocken.
Pancho stemmte die Fäuste in die Hüften und schaute Dan für einen langen Moment finster an. Dann entspannte sie sich merklich.
»In Ordnung, Boss«, sagte sie schließlich. »Ich kann dir wohl keinen Vorwurf machen. Aber ich werde deine Körperdaten auf der Brücke überwachen. Wenn ich sage ›reinkommen‹, dann kommst du rein. Sofort und ohne Widerrede. Einverstanden?«
»Einverstanden«, erwiderte Dan. Eine Stimme in seinem Kopf lachte spöttisch. Bist du nun zufrieden?, fragte die Stimme. Du hast ihr gezeigt, dass du kein alter, kranker Mann bist. Na toll! Aber wie wirst du dich fühlen, wenn die Kälte dir ins Gebein kriecht und die Knochen dich wieder schmerzen?
Spielt keine Rolle, sagte Dan sich. Ich werde jedenfalls nicht wie ein Krüppel hier eingesperrt bleiben. Zum Teufel damit! Es ist mir verdammt egal. Wenn ich schon sterben muss, dann will ich lieber verschleißen als verrosten. Was macht das auch für einen Unterschied?
»Klar für EVA«, ertönte Amandas Stimme im Lautsprecher von Dans Helm.
Er stand in den Anzug gehüllt in der Luftschleuse und fühlte sich wie ein Roboter in einer metallenen Gebärmutter.
»Öffne äußere Luke«, sagte er und drückte mit einem behandschuhten Finger auf das rote Licht der Schaltfläche.
»Verstanden, äußere Luke.«
Die Luke glitt auf, und Dan spürte, wie der Puls sich beschleunigte. Wie lang ist es her, seit ich zum letzten Mal draußen war?, fragte er sich. Seit du dir die Strahlungs-Überdosis eingefangen hast, als du im Van-Allen-Gürtel Commsats manipuliert hast, sagte die spöttische Stimme in seinem Kopf.
Zehn Jahre, wurde Dan sich bewusst. Da war ich für eine lange Zeit aus dem Geschäft.
Er schob sich durch die Luke und schwebte in die Leere hinaus. Das Universum erstreckte sich um ihn herum: Die gleichförmig leuchtenden Sterne schauten ihn sogar durch die starke Tönung des Kugelhelms an. Er drehte sich langsam um und sah die Sonne: Sie erschien klein und fahl und hatte Arme aus verschwommenem Zodiakallicht auf beiden Seiten ausgestreckt.
Freiheit. Er wusste, dass er durch den Raumanzug eingeengt wurde und keine Minute ohne ihn zu überleben vermochte. Und doch fühlte Dan, wie er schwerelos in der stillen Leere der Unendlichkeit hing, aller weltlichen Bürden enthoben. Er war eins mit dem Kosmos und wiegte sich im Rhythmus der ätherischen Sphärenklänge. Glorreiche Freiheit. Sch… auf die Strahlung — er hatte das Gefühl, für immer in den Weiten des Universums zu verschwinden und die nichtigen Händel und Zwistigkeiten der Menschheit weit hinter sich zu lassen. Es wäre nicht die schlechteste Art zu sterben.
Dann wanderte der Asteroid in sein Blickfeld. Massiv und gewichtig hing er vor ihm, eine gewaltige kraterübersäte, dunkle Realität, die wie eine Gewitterwolke vor ihm dräute, wie ein im All schwebender Berg. Die Starpower I wirkte erbärmlich klein und zerbrechlich neben dem zwei Kilometer langen Asteroiden — wie ein Fischlein neben einem Wal. Nun vermochte Dan nachzuvollziehen, wie Jonas sich im Bauch des Wals gefühlt haben musste.
Du machst mir keine Angst, sagte er zum Asteroiden. Du bist nur ein zwei Kilometer langer Brocken aus hochwertigem Eisenerz, Kumpel. Du wirst für viele Menschen auf der Erde ein wundervoller Anblick sein. Geld auf der Bank, das bist du. Arbeit und Hoffnung für Millionen Menschen. Bonanza: Dein Name ist Programm.
»Bereit für EVA«, unterbrach Fuchs' Stimme Dans stummen Monolog.
»Klar für EVA, Lars«, hörte er Amanda antworten.
Dan betätigte mit einem leichten Druck den rechten Handgriff der Steuerung. Der Kaltgas-Strahl schoss lautlos aus dem Rückentornister, und Dan drehte sich weit genug, um wieder aufs Schiff zu schauen. Die Starpower I glitzerte im Sternenlicht. Sie erstrahlte noch immer in fabrikneuem Glanz und wurde weder von einer Einschlagstelle noch von einem Kratzer verunstaltet. Die Luftschleusenluke glitt auf, und eine mit einem Raumanzug bekleidete Gestalt erschien in der Öffnung.
»Verlasse die Luftschleuse«, sagte Fuchs mit leicht zitternder Stimme.
»Komm schon, Lars«, rief Dan. »Ist sie nicht eine Schönheit?«
Fuchs flog auf ihn zu. Dan sah, dass sein Anzug von Hämmern, Bohrern und allen Arten von Ausrüstungsgegenständen starrte.
»Er ist gewaltig«, sagte Fuchs ehrfürchtig.
»Sie ist nur ein durchschnittlich großer Metallklumpen«, sagte Dan. »Und sobald du ein Stück davon abschlägst, haben wir einen Anspruch darauf.«
Fuchs machte sich ohne zu zögern auf den Weg, wobei er sich jedoch mit der Kontrolle der Steuertriebwerke etwas schwer zu tun schien. Dan befürchtete schon, dass Fuchs in den Asteroiden krachen würde, doch im letzten Moment gab er Gegenschub und schwebte ein paar Meter über der pockennarbigen, geröllübersäten Oberfläche.
Dann flog Dan mit einer leichten Berührung der Handregler zu ihm hin und landete auf der Oberfläche des Asteroiden. Er spürte, wie die Stiefel aufsetzten und leicht abgestoßen wurden. Geringe Schwerkraft, sagte er sich, als er erneut aufkam und schließlich auf der Oberfläche von Bonanza stehen blieb. Staubwolken wallten an der Stelle auf, wo die Stiefel Bodenkontakt gehabt hatten; sie verharrten in der minimalen Schwerkraft und bewegten sich kaum.
Fuchs brauchte drei Anläufe, um festen Kontakt mit der Oberfläche herzustellen. Er kam jedes Mal zu hart auf und prallte ab, bis Dan ihn einfing und herunterzog.
»Versuch nicht zu gehen«, sagte er zu Fuchs. »Die Gravitation ist so gering, dass du mit einem Schritt auf und davon bist.«
»Wie soll ich mich dann…«
»Du musst schlurfen.« Dan führte ihm ein paar Schritte vor, wobei er noch mehr Staub aufwirbelte. »Als ob du tanzen würdest.«
»Ich bin aber kein sehr guter Tänzer«, sagte Fuchs.
»Macht nichts, das ist auch nicht gerade die schönste Tanzfläche des Sonnensystems.«
Die Oberfläche des Asteroiden war rau und uneben und mit einer pulvrigen Staubschicht überzogen. Es bestand eine große Ähnlichkeit mit der Mondoberfläche. Dennoch hatte Dan das Gefühl, eher auf einem Bootsdeck zu stehen als auf festem Boden. Einen Horizont gab es in diesem Sinn nicht; der Asteroid endete einfach. Die Oberfläche war mit kleinen Kratern, Geröll und faustgroßen Steinen übersät, und am andern Ende erkannte Dan einen größeren Krater, eine große Senke mit einem erhabenen Rand.
»Was meinst du, wie viel Eisen hier drinsteckt?«, fragte Dan.
»Wenn wir zum Schiff zurückkehren, wird eine zuverlässige Messung der Masse vorliegen«, sagte Fuchs. »Mit dem Schiff im Orbit um den Asteroiden haben wir ein klassisches Zwei-Körper-System. Es ist einfache Newtonsche Physik.«
Er ist halt ein Wissenschaftler, sagte Dan sich. Stell ihm eine einfache Frage, und er liefert dir eine Dissertation. Ohne die eigentliche Frage beantwortet zu haben.
»Lars«, sagte er geduldig, »ich würde mir gern eine Vorstellung von der Masse dieses Brockens machen.«
Fuchs breitete die Arme aus. Im Raumanzug mutete er wie das legendäre Michelinmännchen an.
»Pi mal Daumen?«, sagte Dan.
»Äh… unter Berücksichtigung der Abmessungen… Nickel-Eisen-Asteroiden enthalten typischerweise nicht mehr als zehn Prozent Nickel… die Werte müssten irgendwo in der Nähe von sieben oder acht Milliarden Tonnen Eisen und achtzig Millionen Tonnen Nickel oder so liegen.«
Dan machte große Augen. »Das ist das Fünf- bis Sechsfache der weltweiten Stahlproduktion in den besten Jahren! Vor der Flutkatastrophe und allem anderen.«
»Es sind natürlich Verunreinigungen enthalten«, sagte Fuchs. »Platin, Gold, Silber und andere Schwermetalle.«
»Verunreinigungen, na klar«, pflichtete Dan ihm mit einem keckernden Lachen bei. Seine Gedanken jagten sich. Ein Asteroid genügt, um die weltweite Stahlindustrie für ein paar Jahre am Laufen zu halten! Und es gibt hier draußen tausende dieser Brocken! Es hat sich bewahrheitet! All meine Hoffnungen, die ganzen Versprechen, die ich gemacht habe — sie werden alle in Erfüllung gehen!
Fuchs schien sich darüber überhaupt keine Gedanken zu machen. »Ich möchte einmal einen Blick auf diese Maserung werfen«, sagte er und drehte sich zum entgegengesetzten Ende des Asteroiden um. Dabei hob er von der Oberfläche ab, und Dan musste ihn wieder auf den Boden zurückholen.
»Nimm erstmal hier eine Probe«, sagte Dan. »Damit wir einen Anspruch auf den Asteroiden erheben können.«
Das Licht war so trübe, dass Dan nur die Konturen von Fuchs' Kopf im Kugelhelm sah. Er nickte und begab sich langsam, ganz langsam in eine kniende Position. Dann zog er einen Gesteinshammer aus dem Werkzeuggürtel und schlug ein Stück vom Asteroiden ab. Dabei wirbelte er Staub auf und löste sich wieder von der Oberfläche, doch diesmal krallte er sich mit einer behandschuhten Hand im Boden fest und zog sich wieder herunter.
»Du musst dich verankern, Lars«, sagte Dan. »Schlag einen Felshaken ein und sichere dich mit der Leine.«
»Ja, natürlich«, sagte Fuchs und fummelte an der Ausrüstung herum, die am Gürtel hing.
»Zeichne das folgende auf, Amanda, und versieh es mit einer Zeit-Signatur«, sagte Dan. »Die Starpower GmbH hat mit der Probenentnahme vom Asteroiden 41-014 Fuchs begonnen. Gemäß den Bedingungen des Protokolls der Internationalen Astronautischen Behörde aus dem Jahr 2021 beansprucht die Starpower GmbH die ausschließliche Nutzung der Ressourcen dieses Asteroiden.«
»Ich habe es«, ertönte Amandas Stimme. »Dein Anspruch wird ans IAA-Hauptquartier auf der Erde gesendet.«
»Gut«, sagte Dan zufrieden. Aus dem Geschichtsunterricht erinnerte er sich an die Geschichte vom spanischen Eroberer Baiboa, der als Erster den Pazifischen Ozean erblickte. Wie er sich erinnerte, watete Baiboa hinaus in die Brandung und nahm den ganzen Ozean und alle daran angrenzenden Ländereien für Spanien in Besitz. Man dachte damals in großen Maßstäben, sagte Dan sich. Es gab keine verdammte IAA, die einem Knüppel zwischen die Beine warf.
Fuchs hatte inzwischen den Bogen raus, wie man sich über die Oberfläche des Asteroiden bewegte und verbrachte fast zwei Stunden damit, Proben zu nehmen und Stereo-Videos zu drehen. Dan machte sich allerdings Sorgen wegen des Staubs, den sie aufwirbelten. Er gelangt vielleicht in die Gelenke der Anzüge, sagte er sich. Das verdammte Zeug bleibt einfach über der Oberfläche hängen; es muss ein Jahr dauern, bis es sich wieder gesetzt hat.
Er sah eine Erhebung zur Rechten, die wie eine kleine Anhöhe oder Hügelkuppe aussah. Das muss das hintere Ende des Asteroiden sein, sagte Dan sich. Er drehte sich zu Fuchs um und sah, dass der Wissenschaftler sich endlich im Boden verankert hatte und fleißig Steine klopfte. Dabei wirbelte er reichlich Staub auf.
»Ich besteige mal diese Anhöhe und schaue nach, was auf der anderen Seite liegt«, sagte er zu Fuchs und wies in die entsprechende Richtung.
»Alles klar«, sagte Fuchs über seine Proben gebeugt.
Dan schlurfte langsam vorwärts und sorgte sich wegen des Staubs. Der auf dem Mond aufgewirbelte Staub war statisch geladen und haftete hartnäckig an Anzügen und Helmvisieren. Vielleicht verhielt es sich hier genauso.
Er schickte sich an, die leichte Steigung zu nehmen. Aber irgendetwas stimmte nicht. Plötzlich rutschten die Stiefel unter ihm weg, und er kippte in traumgleicher Zeitlupen-Bewegung nach vorn. Der Sturz war so sanft, dass er ihn mit den Händen abzufangen vermochte, doch dann prallte er vom staubigen Boden ab und schwebte an der Steigung empor wie ein Heißluftballon in der Thermik einer Bergflanke.
Dans Astronautenausbildung gewann die Oberhand über die Reflexe. Vorm geistigen Auge sah er glasklar, was auf ihn zukam. Die Schwerkraft auf diesem gottverdammten Felsen ist so niedrig, dass ich abdrifte! Er sah das bauchige Ende des Asteroiden langsam unter sich vorbeiziehen und dahinter die sternenübersäte Unendlichkeit des Raums.
Dan drehte sich so, dass der Kopf auf den Asteroiden gerichtet war, betätigte die Steuerdüsen und flog zum Asteroiden zurück. Ganz sachte setzte er auf der Oberfläche auf. Fuchs war noch immer mit dem Hammer zugange. Bei jedem Schlag stieg er vom Boden auf und wurde von der verankerten Leine zurückgerissen.
Dan atmete schwer, doch ansonsten hatte dieser kleine Ausflug keine Folgen. Mit noch größerer Vorsicht als bisher schlurfte er zu Fuchs und half ihm dabei, die Gesteinsproben einzutüten.
»Zeit zur Rückkehr, Jungs«, sagte Pancho schließlich mit strenger Stimme.
»Nur noch eine Probe«, erwiderte Fuchs.
»Sofort«, befahl Pancho.
»Aye, aye, Käpt'n«, sagte Dan. Er klopfte mit den behandschuhten Knöcheln auf Fuchs' Helm. »Komm schon, Lars. Für heute hast du genug getan. Der Asteroid wird uns nicht weglaufen; du kannst ein andermal zurückkommen.«
Amanda wartete an der Schleuse und half ihnen dabei, sich der Rückentornister und staubverkrusteten Raumanzüge zu entledigen. Dan stieg ein seltsamer stechender Geruch in die Nase, als er den Helm abnahm. Nicht wie der beißende Pulver-Gestank des Mondstaubs; das war irgendwie ein neuer, fremder Geruch.
Bevor er noch die Zeit fand, die Geruchsnote des Staubs zu bestimmen, kam Pancho in den Luftschleusenbereich herunter. Sie schaute so ernst, dass Dan sie fragte: Was ist los?
Während Fuchs fröhlich mit Amanda schwatzte, sagte Pancho: »Schlechte Nachrichten, Boss. Ein weiterer Abschnitt des Supraleiters heizt sich auf. Im schlimmsten Fall versagt vielleicht die ganze magnetische Abschirmung.«
Dan klappte die Kinnlade herunter. Ohne den Schirm würden sie vom nächsten solaren Strahlungssturm gegrillt werden.
»Wir müssen sofort nach Selene zurückkehren«, sagte Pancho. »Bevor die nächsten Protuberanzen ausbrechen.«
»Wie stehen unsere Chancen?«, fragte Dan mit trockener Kehle.
Sie fuchtelte mit der Hand. »Fifty-fifty… wenn wir Glück haben.«