IV. Temuen — Die Insel, die man Nan Madol nennt

Wer baute Nan Madol? - Mikadospiel mit Basaltblöcken - Ein vorzeitliches Tunnelsystem — Platinsärge? - Die unheimlichen Fähigkeiten des Drachenzauberers — Auf Inselsuche ohne Rückkehr — Wie Neu-Seeland entstanden istEinmann-Fluggeräte en masse — Polynesische Legenden - Wie die Mythenforschung irrt — Was man in einer Geode fand — Wodurch sind die armen Polynesier so reich? - Sakao, das LSD der Südsee


Die größte Inselgruppe Mikronesiens mit über 500 Inseln und einer Gesamtfläche von 1340 qkm sind die Karolinen.

Mit 504 qkm ist ponape die größte der Karolinen-Inseln, dreimal so groß wie das Fürstentum Liechtenstein, mit dem sie etwa die gleiche Einwohnerzahl: 18 000 gemeinsam hat. Das Klima ist tropisch, der größere Teil von ponape ist gebirgig und unbewohnbar. Rings um ponape liegt ein Gürtel von kleinen Inseln und Inselchen und von Korallenriffen. Eine der winzigen Inseln, etwa so groß wie die Vatikanstadt mit 0,44 qkm, heißt - laut Atlas - temuen. Auf temuen liegen die gewaltigen Ruinen von nan madol, sie nehmen fast das ganze Eiland ein, geben ihm seine Bedeutung und seinen Ruf, so daß temuen längst als nan madol in den Sprachgebrauch eingegangen ist. Die Ruinen von nan madol gibt es seit frühen Zeiten, die Entstehungszeit der vorzeitlichen Anlagen ist noch nicht datiert, die Herkunft ihrer Erbauer ist unbekannt.

Hier die historisch gesicherten Daten der Insel ponape und ihrer Inselchensatelliten:

1595 Der Portugiese pedro fernandes de quiros landet mit der san jeronimo. Die ersten Weißen betreten die Insel... und sehen die Ruinen auf nan madoi

1686 Die ganze Inselgruppe geht in spanischen Besitz über und wird nach dem König Karl II Karolinen getauft

1826 Mit Überlebenden eines Schiffbruchs betritt der Ire james o'conell die Insel, wird von den Po-napesen freundlich empfangen, heiratet eine Eingeborene

1838 Ab diesem Jahr melden die Annalen der Insel verschiedene Besuche weißer Gäste

1851 Eingeborene massakrieren eine britische Schiffsbesatzung. Eine Strafexpedition richtet auf ponape ein Blutbad an

1880 Missionare christlicher Konfessionen und Sekten fallen wie Heuschreckenschwärme ein, verbrennen Schrifttafeln der Frühgeschichte, verbieten überlieferte Volksbräuche

1899 Spanien verkauft die ponapesische Inselgruppe (nebst den Marianen und Palau-Inseln) an das Deutsche Reich

1910 Die Insulaner ermorden Missionare und Regierungsbeamte. Nur wenige Weiße entkommen dem Massaker

1911 Der deutsche Kreuzer emden beschießt die Insel, Rebellen werden niedergemacht, ihre Anführer öffentlich gehängt

1919 Die Karolinen, samt ponape, kommen unter japanische Mandatsverwaltung

1944 Während der Schlacht in der Südsee okkupieren die Amerikaner die Inselgruppe 1947 Die Inseln werden Treuhandgebiet der usa Das sind die zweifelsfrei belegten historischen Daten von ponape. Es steht also fest, daß die geheimnisumwitterten Ruinen auf nan madol lange, lange vor dem ersten Besuch von Weißen anno 1595 existierten. Es ist nicht wahr, daß die Geschichte der Inselbewohner erst seit ihrer »Entdeckung« in die Legenden um nan madol eingegangen ist. Die Geschichte seit 1595 ist so gut wie lückenlos bekannt. Die Legenden um nan madol wissen viel mehr zu berichten als diese neuzeitlichen Fakten, sie sind also unendlich viel älter. Nur weil man keine überzeugende Erklärung für das Mysterium von nan madol anbieten kann, will man uns mit »Philologen-Latein« klug kommen.

Nachdem ich mehr als eine Woche in der feuchtheißen Hölle von nan madol mit Meßband, Fotoapparaten und Notizblock verbracht habe, kann ich über die bisherigen »Deutungen« - leider! - nur noch müde lächeln. Ich halte mich, weil ihr Inhalt plausibler ist, lieber an die Legenden.

Wir werden sehen warum.

Als ich mit einer Boeing 727 der Continental Airlines air micronesia auf ponape landete, ahnte ich nicht, in welche Strapazen, aber auch vor welche Überraschungen mich meine Neugier treiben würde. Über das Hotel kasehlia gechartert, fuhr ich mit einem kleinen Motorboot, nicht größer als ein Eingeborenenkanu, durch tropisch überwucherte Kanäle, die die vielen Inseln voneinander trennen. Es war drückend heiß und die Luft so feucht, daß man meinte, sie kaum noch einatmen zu können (Abb. 38).

Mit meinen beiden eingeborenen Begleitern passierte ich viele Inselchen, und dann lag nan madol vor uns, eines unter vielen gleichen, das sich nur durch die seltsame Last, die es trägt, von allen anderen unterscheidet. Auf diesem tropischen Eiland liegt, nicht größer als ein Fußballstadion, das Pantheon, die kleine Basaltstadt, das sagenhafte Retiro vorzeitlicher Bewohner. Man steht abrupt vor diesen Zeugnissen der Frühgeschichte, man ist auf diese »Begegnung« nicht vorbereitet. Die Grundrisse der Anlagen sind, wenn man sich ausreichend umgeschaut hat, im Gewirr des Ruinenfeldes deutlich erkennbar. Wie beim Mikado-Spiel sind zahllose Stäbe übereinandergelegt, geschichtet, geordnet. Es kann kein einfaches Spiel gewesen sein, das hier gespielt wurde, denn die Stäbe sind tonnenschwere Basaltstangen, Basaltklötze. Es handle sich, sagt die bisherige Forschung, bei diesen Basaltstangen um erkaltete Lava. Mir kam das spanisch vor, als ich Meter um Meter feststellen mußte, daß die Lava ausschließlich sechs- oder achteckige Säulen, nach Maß, in etwa gleichen Längen erstarren ließ

(Abb. 8 und 9 F).

38 Auf Dschungelkanälen fährt man zwischen den Inselchen hindurch, eine Welt, die nur tropischen Pflanzen und exotischen Vögeln gehört.


Da an der Nordküste von ponape tatsächlich Säulenbasalt gewonnen wurde, bin ich bereit, über die dümmliche Erklärung der maßgerecht erstarrten Lavasäulen hinwegzusehen und zu unterstellen, dieses erstklassige und exakt bearbeitete Baumaterial wäre an der Nordküste gebrochen und bearbeitet worden. So weit — so schlecht, denn die durchschnittlich drei bis neun Meter langen und oft über zehn Tonnen schweren Blöcke müssen dann ja wohl von der Nordküste von ponape durch das Labyrinth der Dschungelkanäle, an Dutzenden von gleich brauchbaren Inseln vorbei, nach nan madol transportiert worden sein. Ein Transport auf dem Landweg scheidet aus, -denn den dichten Dschungel überfluten mehrmals am Tag seit Urzeiten Regengüsse, überdies ist ponape eine gebirgige Insel. Akzeptiert man sogar noch, daß Straßen im Dschungel freigeschlagen wurden und daß es Transportmittel gab, die die Berge überwinden und sich durch den sumpfigen Morast wühlen konnten, dann stand die schwere Last zuletzt doch an der Südostecke der Insel, und man hätte sie dann auf Schiffe verladen müssen.

An Ort und Stelle erklärte man mir, der Transport zu Wasser sei wohl mit Flößen bewältigt worden - eine Auffassung, die der anderen widerspricht, die mir ein Gelehrter ernsthaft verkaufen wollte: die Ureinwohner hätten die Basaltkloben unter ihre Kanus gehängt, auf diese Weise das Gewicht verringert und so Stück für Stück nach nan madol gerudert.

Ich habe mir die Mühe gemacht, die Basaltblöcke einer Seite des Hauptbaus zu zählen. Bei einer Seitenlänge von 60 m addierte ich 1082 Säulen. Der Bau ist quadratisch, die vier Außenwände zeigen 4782 Basaltelemente. Von einem Mathematiker ließ ich mir aus Breite und Höhe den Rauminhalt samt der für seine Auffüllung notwendigen Basaltsäulen errechnen: der Hauptbau »verschlang« etwa 32000 Stück. Der Hauptbau ist aber nur ein Teil der Anlage. (Siehe Karte Abb. 39).


39 Diesen Grundplan der Anlagen von Nan Madol fertigte Paul Ham-bruch während seiner Forschungsarbeiten in den Jahren 1908—1910 an, er wurde von K. Masao Hadley auf den jeweils jüngsten Stand gebracht. Die Grundrisse sind im Ruinenfeld deutlich erkennbar.

Es gibt Kanäle, Gräben, Tunnels und eine 860 m lange Mauer, die an der höchsten Stelle 14,20 m mißt. Der rechteckige Hauptbezirk ist in Terrassen, auch aus erstklassigen Basaltquadern gebaut, abgestuft. Das von mir vermessene Haupthaus hat über 80 kleine Dependancen. Die Zahl 32000 als Anhaltspunkt, liegt die Schätzung der allein in die 80 Bauwerke installierten Basaltsäulen mit rund 400 000 Stück eher zu niedrig als zu hoch. Falschen Erklärungen kommt man stets auf die Spur, wenn man eine rechnerische Nagelprobe macht. Wie zum Beispiel diese:

Zu Zeiten, als die Anlage von nan madol entstanden ist, gab es auf Ponape, von allen Forschern bestätigt, eine zum Stand von heute vergleichsweise geringe Einwohnerzahl. Die Arbeit im Steinbruch an der Nordküste war schwer, mühevoll, langwierig. Der Transport der bearbeiteten Werkstücke durch den Dschungel brauchte ein ganzes Heer kräftiger Männer, und auch die Zahl der Schauerleute, die die Blöcke unter die Kanus banden, war beträchtlich. Schließlich und endlich mußten ja auch eine Anzahl Insulaner die Kokospalmen beernten, fischen und für den täglichen Unterhalt sorgen. Falls also je Tag vier, mehrere Tonnen schwere Basaltsäulen die Südküste zum Abtransport nach nan madol erreicht haben, dann wäre das wohl, mit den gegebenen »tech-niscnen« Möglichkeiten eine gigantische, bewunderungswürdige Leistung gewesen. Da es seinerzeit auf keinen Fall Gewerkschaften gegeben hat, unterstelle ich, daß volle 365 Tage gearbeitet und geschuftet wurde. Wären ganze 1460 Basaltblöcke pro Jahr auf nan madol angelandet! Wären 296 Jahre nötig gewesen, um nur das Material an die Baustelle heranzuschaffen! Nein, so dumm sind menschliche Lebewesen zu keiner Zeit gewesen, daß sie sich solcher Tortur ohne Grund unterzogen hätten. Wenn schon Basaltsteinbrüche an der Nordküste von ponape, warum hat man dann diese Anlage nicht auf der Hauptinsel errichtet? Warum baute man auf einem vom Steinbruch so weit entfernten Inselchen?

Gibt es keine überzeugende Erklärung? nan madol ist keine »schöne« Stadt, ist es mit Gewißheit auch nie gewesen. Es gibt keine Reliefs, keine Skulpturen, keine Statuen oder gar Malereien. Es ist eine kalte, abweisende Architektur. Hart, roh, drohend sind Basaltbrocken aufeinandergetürmt. Das ist verwunderlich, weil die Südseeinsulaner ihre Paläste oder Festungen stets in verschwenderischer Weise mit Oramenten schmückten: Paläste und Festungen waren Plätze, an denen Könige geehrt oder Götter versöhnlich gestimmt werden sollten. Das spartanische Mauerwerk von nan madol schließt beide Möglichkeiten aus. - War es eine Verteidigungsanlage? Die Terrassen, die den Aufstieg zu den Bauten erleichtern, führen diesen Zweck ad ab-surdum: wann je wäre Feinden ein solches Angebot gemacht worden? Aber: die Terrassen geleiten zum Zentrum des Planes, zum »Brunnen«.

Dieser Brunnen ist kein Brunnen, es ist der Einstieg zum Anfang oder zum Ende eines Tunnels. Daß die Öffnung heute bis knapp zwei Meter unter dem Rand mit Wasser vollgelaufen ist, beweist nichts, denn auch die Anlagen von nan madol führen über den Inselrand hinaus und sind mit bloßen Augen unter der Wasseroberfläche zu sehen, bis sie sich im Meer verlaufen. Was aber soll ein Tunnel auf der winzigen Insel? Wohin, woher führt er? Zuerst las ich in Herbert Rittlingers Buch »Der maßlose Ozean« von dieser Merkwürdigkeit. Rittlinger, der die Südsee forschend bereiste, erfuhr auf ponape, daß hier vor ungezählten Jahrtausenden der prachtglänzende Mittelpunkt eines ruhmvollen Reiches gewesen sei. Die Berichte von dem sagenhaften Reichtum hätten Perlenfischer und chinesische Handelsleute verlockt, heimlich den Meeresboden abzusuchen, und die Taucher wären allesamt mit unglaublichen Berichten aus der Tiefe aufgestiegen ... sie hätten auf dem Grund über wohlerhaltene, von Muscheln und Korallen überwucherte Straßen gehen können ... es gäbe »da unten« zahllose Steingewölbe, Säulen und Monolithen ... an deutlich erkennbaren Häuserresten würden behauene Steintafeln hängen.

Was die Perlenfischer nicht fanden, entdeckten japanische Taucher mit modernen Geräten und bestätigten mit ihren Funden, was die Legenden von ponape überliefern: den großen Reichtum an Edelmetallen, an Perlen und Silberbarren. Im »Haus der Toten« (also dem Haupthaus der Anlage), weiß die Legende, ruhen die Leichname. Die japanischen Taucher berichteten, die Toten seien in wasserdichten Platinsärgen beigesetzt. Tatsächlich brachten die Taucher Tag für Tag Platinstücke mit an die Oberfläche! Tatsächlich wurden die Hauptausfuhrartikel der Insel - Kopra, Vanille, Sago, Perlmutter — durch Platin verdrängt! Diese Platinförderung, berichtet Rittlinger, hätten die Japaner betrieben, bis eines Tages zwei Taucher trotz moderner Geräte nicht wieder hochgekommen seien, dann sei der Krieg ausgebrochen und die Japaner hätten abziehen müssen. Er schließt seinen Bericht:

»Die Berichte der Eingeborenen, überwuchert von jahrhundertealten Legenden, sind wahrscheinlich übertrieben. Aber die Platinfunde auf einer Insel, deren Fels sonst kein Platin enthält, waren und bleiben eine höchst reale Tatsache.« Das alles geschah um 1939.

Ich glaube nicht an die Metall- oder gar Platinsärge. Sechs- oder achteckige Basaltpfeiler, von Muscheln und Korallen überwuchert, lassen sich unter Wasser leicht mit der Form von Särgen verwechseln. Särge hin, Särge her. Tatsache bleibt, daß Japan seit seiner Mandatsherrschaft ab 1919 von Ponape aus Platin exportierte. Woher stammten diese Platinmengen? Mögen die Särge eine Täuschung gewesen sein, überzeugen mich doch die Taucherberichte von Häusern, Straßen und Steingewölben auf dem Meeresgrund, denn diese Bauten sieht man im klaren Wasser auf den Inselrand »zuwachsen« und erkennt deutlich, wie sie zum angeblichen Brunnen hin führen. Hier war, meine ich, mit großer Wahrscheinlichkeit der Einstieg in ein die Insel beherrschendes Tunnelsystem. Und: nan madol hat nichts Gemeinsames mit dem sagenhaften Atlantis, das - nach Plato - 9000 v. d. Z. im Meer versank. Hier liegen die überirdischen Bauten dort, wo sie vor Urzeiten angelegt wurden, und ihre Fortsetzungen unter Wasser sind planmäßige Anlagen, die im Zuge der Bauarbeiten von nan madol entstanden. Hier gibt es Relikte wunderbarer Bauten, aber hier gibt es keine Wunder. Was berichten die überlieferten Legenden über die mysteriösen Ruinen von nan madol?

Die auf ponape lebenden Forscher k. masao hadley, pensile Lawrence und Carole jencks haben Material gesammelt, ohne dem Inhalt eine mögliche Auslegung zu geben.

Der Hauptbau wird in der Legende als »Tempel der heiligen Taube« geführt. Noch vor drei Jahrhunderten wäre der Taubengott und Oberpriester nanusunsap in einem Boot durch die Kanäle gerudert und ihm gegenüber habe stets eine Taube gesessen, der er ohne Unterlaß in die Augen habe schauen müssen: habe die Taube geblinzelt - und Tauben tun das ständig! — hätte der arme Oberpriester zurückblinzeln müssen. Eine drollige Vorstellung.

Ursprünglich jedoch, melden die Legenden, wäre nicht die Taube das Symbol der Gottheit von nan madol gewesen, sondern ein feuerspeiender Drache.. Um diesen ehemals heimischen Drachen ranken sich denn auch die Berichte von der Entstehungsgeschichte der Insel und der Bauten. Die Mutter des Drachen habe durch ihr gewaltiges Schnauben die Kanäle ausgehoben und auf diese Weise die Inselchen entstehen lassen — der Drache hätte einen Zauberer als Adjutanten gehabt, und dieser Drachen-Zauberer hätte einen Vers gewußt, mit dem er, dank der Kraft des Zauberspruches, die Basaltklötze von der großen Nachbarinsel herüberfliegen lassen konnte, um sie dann - mit einem anderen Vers - ohne einen Handgriff der Bewohner auf nan madol aufzuschichten.

Amüsiert habe ich mich über eine Interpretation der DrachenLegende. Der Drache, sagen die Archäologen, sei eigentlich kein Drache, vielmehr ein Krokodil gewesen, das sich nach nan madol verirrt und dort erhebliche Unruhe gestiftet habe. Krokodile gibt es in der Südsee etwa 3000 Meilen von der Insel entfernt. Mag sich irgendwann ein Krokodil verirrt haben — warum nicht? -dann gibt das immer noch keinen Grund dafür, daß eine einzige Panzerechse in die Legende einging, nicht aber die ungleich eindrucksvollere Entstehung der Bauten von nan madol! Ein Krokodil hinterläßt Spuren in der Volkslegende — Bauten aber, deren Rudimente heute noch staunenswert und unerklärbar sind, finden in den Legenden keine Beachtung? Das Krokodil baute doch wohl keine Terrassen, Häuser, Tunnels. Oder? Selbstverständlich gibt es viel, viel mehr Legenden über nan madol als die von der Taube und vom Drachen. Der deutsche Ethnologe paul hambruch gab im zweiten Band seiner »Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908 bis 1910« (Berlin 1936) eine gründliche Übersicht über Sagen, Mythen und Legenden der Karolinen. Das »Di-strict-Economic-Development-Office« in ponape verkauft Touristen eine Broschüre mit Daten der Geschichte und Legenden für einen Dollar. Wenn ich hier vorerst nur die DrachenLegende vorlege, hat das gute Gründe.

Ich tue es nicht, weil ich hier einen einmaligen Taufpaten und Kronzeugen für mein Götter-Konzept gefunden habe.

Auf allen Südsee-Inseln, die Ruinen alter Bauten vorweisen und ihre Vergangenheit in Mythen belegen können, gibt es die wilde Behauptung, große Steine seien durch die Luft an ihren Bestimmungsort geflogen. Das prominenteste, weil weltbekannte Muster dieser Legenden-Aussage ist die osterinsel. In ihren Mythen tragen die RAPANUI-Leute über alle Zeiten weg das »Wissen«, wonach die etwa 200 Riesenstatuen rund um die Inselküste »aus der Luft« und »von selbst« in ihre Positionen gegangen seien.

Die Drachen-und-Tauben-Legenden gibt es überall, freilich in verschiedenen Fassungen. In der Fülle des weiteren Legendenstoffes dominieren kriegerische Ereignisse, Abfolgen ehemals herrschender Königsgeschlechter, Hochzeiten und Morde wie auch verifizierbare historische Fakten jüngeren Datums. Dieser umfängliche Teil der Legenden geht von Tatsachen aus, er hat einen realen Kern. Das scheint mir nur logisch, denn auch die kühnste Phantasie braucht Anlässe, quasi Startrampen für kühne Gedanken. Menschliche Phantasie lehnt sich selbst dann, wenn es sich um scheinbare Utopie handelt, an Erlebtes oder mindestens im jeweiligen Stadium Denkbares an. Nun sind Drachen ein globales Element in Mythen und Legenden. Die frühesten Sagen der Chinesen kennen sie wie sie bei den Mayas ihren selbstverständlichen Platz haben. Diese feuerspeienden Ungeheuer sind jedem alten Volk der Südseegemeinschaft vertraut, gelegentlich auch als lärmende, fliegende Schlangen. Alle aber beherrschen die fabelhafte Kunst, größte und schwerste Gegenstände über weite Entfernungen in vorbestimmter ordnung an den Platz X befördern zu können. Welcher Baumeister unserer Tage möchte nicht gern Drache mit solchen Fähigkeiten sein?

Die phantasiebegabten Urväter erbauten nan madol. Nicht an einem Tag. Unter freundlicher Assistenz eines Mathematikers errechnete ich, daß dafür annähernd 300 Jahre notwendig waren. Über viele Generationen hin wurde mit Blut, Schweiß und Tränen geschuftet. Warum hat sich diese enorme Leistung der Insulaner nicht in der belegten Historie niedergeschlagen, markant eingezeichnet, wenn sie - wie die Archäologen behaupten - erst vor 500 Jahren erbracht wurde? Der »Beweis« für diese junge Datierung ist sehr, sehr mager: Vor sechs Jahren wurde unter einem Basaltblock beim »Brunnen« ein Holzkohlenrest gefunden. Es wurde eine Zeitbestimmung nach der C-14-Methode vorgenommen, die ergab eine Datierung um 1300 n. d. Z.

Abgesehen von der - inzwischen vielfach attestierten -Ungenauigkeit der C-14-Methode, die ein konstantes Verhältnis des radioaktiven Isotops des Kohlenstoffs (C) mit dem Atomgewicht 14 in der Atmosphäre voraussetzt, ist es viel eher möglich, ja, sogar wahrscheinlich, daß Nachfahren auf den längst vorhandenen Basaltbauten ein Feuerchen anzündeten. Das sind doch keine ernstzunehmenden Feststellungen, das sind Tricks, die bluffen sollen, wenn man nicht weiter weiß ... Polynesien (griechisch: Vielinselland), die Inselgruppen des östlichen ozeaniens, liegen in dem großen Dreieck zwischen Hawaii, den Osterinseln und Neuseeland. Die Ureinwohner aller polynesischen Inseln auf 43 700 qkm Festland haben Sagen und Legenden gemeinsam, sie haben gemeinsame Sprachstämme und - mit nur geringen Varianten - ein gemeinsames Äußeres. Und gemeinsame Götter!

Die Mehrzahl der Polynesien-Spezialisten, Archäologen, Anthropologen und Altphilologen, sind sich darin einig, daß Kultur und Sprache von Ostpolynesien aus verbreitet wurden. Dieser Version folgend, ging der Kultur-und Sprachenexport von der Gruppe der neun cooK-Inseln und ihren vielen Atollen aus, von der großen Insel Tahiti (1042 qkm) wie von der Gruppe der tuamotu-Inseln mit ihren etwa 80 Atollen aus, aber auch von den MARQUESA-Inseln und den MANGAREWA-Inseln. Ich wage nicht, diese wissenschaftlichen Resultate zu bekritteln, aber ich habe Fragen vorzubringen. Wie haben die Ostpolynesier beim Kulturexport die gewaltigen Distanzen zwischen den Inseln zurückgelegt? Da gibt es die Theorie, sie hätten sich mit ihren Kanus in die Strömungen des Meeres eingeschleust und dann treiben lassen. Treiben — wohin?

Seit einem halben Jahrhundert weiß man aus der Erforschung der Meeresströmungen sehr genau, in welchen Richtungen sich die großen, kräftigen Strömungen bewegen, welche Küsten sie berühren. So beweist die Karte der Meeresströmungen schlüssig, daß die ostpolynesi-schen Exporteure Neuseeland, die größte Insel im südlichen Pazifik, mit ihren primitiven Kanus gegen die Strömung hätten erreichen müssen.

Eine beliebte Erklärung für den kompaß- und motorlosen Verkehr ist die, daß die Seefahrer zwischen ostpolynesien und Neuseeland solange in Nord- oder Südrichtung fuhren, bis sie sich östlich oder westlich von ihrem Ziel befanden: dann fädelten sich die cleveren Burschen haarscharf in die Strömungen ein. Ja, wenn die Urpolynesier moderne maritime Kenntnisse und technische Hilfen gehabt hätten! Was wußten sie denn von dem auf Punkt richtigen Breitengrad, von dem ab sie nach ost oder West abbiegen mußten? Und woher kannten sie ihr Ziel? Wußten sie, daß und wo es andere Inseln gab?

Wer unterstellt, die Urpolynesier hätten sich exakt der Strömungen bedient — die gegen ihre Expeditionsrich-tungen verliefen! - der muß bereit sein, anzuerkennen, daß ihnen Kenntnisse der Meeresströmungen geläufig waren. Falls Wissenschaftler bereit sind, diese notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Navigation zwischen den Inseln zu akzeptieren, dann will ich mich gern der Strömungstheorie anschließen, muß aber zugleich die Frage stellen dürfen, woher sie dieses Wissen hatten.

Es geht um den Kulturexport von ost nach West über riesige Distanzen, die ich hier nach Angaben der internationalen Luftfahrtgesellschaften benenne:

Osterinsel-Tahiti = 3700 km

Tahiti-Fidschi = 4300 km

Fidschi-Australien = 3000 km

Kalifornien-Hawaii = 4000 km Hawaii-Marshallinseln = 3800 km

Hätte trotzdem der Zufall ein Floß oder ein Kanu an der Küste einer bis dato unbekannten Insel landen lassen, dann hätten die kühnen Seefahrer (gegen die Strömung!) nie wieder Verbindung mit ihrer alten Heimat bekommen, sie hätten nicht mal Kunde dorthin gelangen lassen können: »Land über!« Die tollkühnen Aquanauten hätten sich von der zufällig angelandeten Insel aus -wären sie noch mal in See gestochen — immer weiter vom Heimathafen entfernt. Die Heimkehr hätten die stärksten Männer in den Kanus nicht geschafft. Sie vollbrachten allerdings, der Wissenschaft zufolge, eine andere erstaunliche Leistung: sie hatten zwar keine Frauen mit von der Partie, versorgten die Inselchen aber nicht nur mit Kultur, sie zeugten auch Kinder, die sich dann fleißig vermehrten. Wie sie das wohl gemacht haben? Die ostpolynesier haben nach den Sternen navigiert! »Wenn das >Kreuz des Südens< im Herbst um Mitternacht am Horizont steht, müssen wir links steuern, um Bora-Bora zu erreichen.«

Woher wußten die Kulturbringer, wo Bora-Bora liegt? War irgendwer vor ihnen auf den vielen hundert Inseln? Auf welche Weise bekamen die »Entdecker« von der Heimatinsel Meldungen, die zu solcher Positionsbestimmung nötig waren?

Heute weiß der Seemann (im Gegensatz zum vorgeschichtlichen Entdecker), daß sein Ziel existiert, wo es liegt und auf welcher Route er es findet. Den Urpolynesiern fehlten alle notwendigen Kenntnisse. Wenn sie eine Insel erreichten, legte sie ihnen ein glücklicher Zufall in den Weg.

Die intelligenten und kunstfertigen Ureinwohner Neuseelands, die maori, kennen eine Sage, die zum Nachdenken anregt.

Danach gab es in frühen Zeiten den König KUPE, der in Begleitung zweier Töchter und zweier Vögel offenbar eine Art von wissenschaftlicher Expedition unternommen hat. KUPE entdeckte die ostküste Neuseelands, ging an Land und schickte die beiden Vögel zur Erkundung aus. Der eine Vogel bekam den Auftrag, das Gefälle der Flüsse und die Meeresströmungen zu messen -der andere mußte Beeren und Pflanzen auf ihre Genießbarkeit hin analysieren. Der erste Vogel brach sich beim Messen eines Wasserfalls die Flügel - lahm, wie er war, konnte er nicht mehr fliegen. Der zweite Vogel, berichtet die MAORI-Sage, habe eine so köstliche Beerenart gefunden, daß er es vorzog, den Rest seines Lebens im Wald zu verbringen: kupe sah ihn nicht wieder. Deshalb, heißt es, habe König KUPE mit seinen Töchtern nicht in die Heimat zurückkehren können. Warum eigentlich nicht?

Der König besaß doch noch sein Kanu, mit dem er die Expedition antrat. Beide Töchter, mutmaßlich sportive junge Damen, waren bei ihm. Trotzdem war die Heimreise nicht möglich. Brauchte er die klugen Vögel - die der Sage nach erheblich mehr konnten als Fliegen - zur Navigation?

Die Merwürdigkeit dieser Sage wird von der ältesten MAORI-Legende weit übertroffen, behauptet sie doch, Neuseeland sei von dem Gott maaui aus den Fluten des Meeres gefischt worden!

maaui habe, so die Legende, einen Fisch an der Angel gehabt, der Fisch habe wie wild gezappelt und um sich gebissen, da sei der Gott wütend geworden, habe den Fisch zerschnitten, zerhackt. . . und darum sei Neuseeland derart zerstückelt.

Heute noch bezeichnen maoris, wie es ihre Vorfahren in der Legende überlieferten, die Nordinsel — te ika-a-maaui - als den Fisch des maaui, während die Südinsel (Stewart Island) ihnen als das Boot des Gottes erscheint. Die MAHIA-Halbinsel - te matau a maaui - ist der Angelhaken, das WELLINGTON-Gebiet — te upoko o te ika — der Kopf, die NORD-AUCKLAND-Halbinsel - te hiku o te ika - der Schwanz des Fisches.

Das ist eine nachdenkenswerte Geschichte. Als der Gott maaui Land angelte, gab es noch keine Landkarten. Der Blick in einen Atlas aber bestätigt, wie genau diese Legende die Formen Neuseelands umreißt: da ist der rochenartige Fisch zu sehen, mit seinem geöffneten Maul im Süden, dem langen Schwanz im Norden, mit einer Seitenflosse am Angelhaken.

Die Legenden vom starken, streitsüchtigen maaui sind von Insel zu Insel verschieden, immer aber erscheint er als Gestalt von unmenschlicher Kraft . .. und stets als der »Land-Fischer«. Seit Menschengedenken sind die Polynesier selbst Fischer, sie haben »Meeresfrüchte« aller Art im Netz oder an der Angel gehabt, ganz gewiß haben sie auch in bombastischem Angler-Latein manche Schollen zu Haifischgröße aufgeplustert. Sie wußten aber zu allen Zeiten, daß man Land nicht angeln oder fischen konnte. Dennoch behaupten Legenden auf allen Inseln: der Gott maaui war der »Land-Fischer«.

Mit verwegenem Simsalabim machen wir aus dem Gott maaui den mutigen Charles lindbergh, der am 20. und 21. Mai 1927 in 33 Stunden die rund 6000 km von New York nach Paris flog! Allein in der windigen einmotorigen Maschine, sah er unter sich nur Wasser, Wasser, Wasser. Einundeinhalb Tage allein hoch über dem Wasser — ein Alptraum! Lindbergh sah tief unter sich einen dunklen Fleck, einen Punkt. Ein großer Fisch? Eine kleine Insel? Ein Schwarm Fische? Eine Inselgruppe? Langsam ging er mit dem Flugzeug in geringere Höhen, er erkannte die dunklen Flecke im Atlantik, es waren Inseln. Die Spannung des einsamen Fliegers löste sich: er hatte ein Fleckchen Land »gefischt«. Sehr lustig, wird man mir sagen, aber die Polynesier in grauer Vorzeit haben doch die Kunst des Fliegens nicht beherrscht.

Ich bin der Überzeugung, daß die Urpolynesier mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fliegen konnten. Wer nicht mit sterilem Starrsinn vor allen Zeugnissen der Urgeschichte behauptet, es handle sich — nach Bedarf - jeweils um »Kultmasken«, »Ritualkleider« oder »Ritualrequisiten« - wer fähig ist, mit heutigem Blick die Funde auf den polynesischen Inseln (und anderswo) zu interpretieren, der wird unschwer in den angeblichen Masken (Abb. 40) schlecht kopierte Einmann-Fluggeräte erkennen: die »Maske« wurde von oben her über den Kopf gestülpt, die herunterklappbaren(!) Flachhölzer waren nichts anderes als Flügel, man sieht die Löcher zum Einschlüpfen an den unteren Enden. Selbst die Arm- und Beinstützen, ja, das komplette Korsett, in das sich die Flieger zwängen mußten, sind über Jahrtausende den polynesischen Folklore-Künstlern eine Erinnerung geblieben. Freilich wußten und wissen sie längst nicht mehr, weshalb sie ihre Götter und Könige mit so komplizierten Apparaturen schmücken und ausstatten: fliegen kann damit seit Ewigkeiten kein Mensch mehr. In Urzeiten aber, nämlich damals, als maaui die Inseln »fischte«, konnten Spezialisten des Volkes mit diesen Apparaten fliegen!

40 Im Bishop-Museum von Honolulu, Hawaii, gibt es viele solcher Kopien von Fluggeräten, die von der Wissenschaft als »Ritualmasken« katalogisiert wurden. Weniger Phantasie aber braucht man, wenn man in diesen über viele Jahrhunderte hinweg gebastelten »Erinnerungen« Flughilfen identifiziert, die über den Kopf gestülpt wurden, mit Flachhölzern als Flügel, mit Arm- und Beinstützen und dem Korsett, in das sich die Flieger zwängen mußten.


Im BISHOP-Museum in Honolulu, das die größte polynesische Sammlung der Welt verwaltet, stehen viele lange Gänge voll mit solchen Flugapparaten. Im Museum in AUCKLAND reihen sich ähnliche Maschinen in großer Zahl aneinander. Diese, zugegeben, schlechten Kopien frühester Flugapparate werden denn auch prompt an allen Fundorten und in allen Museen, über einen Kamm geschoren, als »Ritualgeräte« deklariert. Die vierflügeligen Wesen in assur waren Ritualwesen. Töpfereien, die technische Zeichnungen von Scheiben-und Kugelornamenten zeigen, waren Ritualgegenstände.

Der Raumfahrer auf der Grabplatte von palenque war ein Indianer in ritueller Pose.

Die technisch anmutenden Geräte in den Händen der Statuen von tula waren Ritualgegenstände. Die deutlich erkennbaren Tornister und Schläuche (Versorgungssysteme) auf den Rücken der MAYA-Priester waren rituelles Zubehör.

Und so werden denn freilich auch die Bastgestelle auf den polynesischen Inseln zu Ritualmasken. Bei soviel Torheit fällt mir der Titel des Romans von moscheh y. ben-gavriel ein: »Kamele trinken auch aus trüben Brunnen.«

Die Polynesier haben nicht selbst den Schlüssel zur Kunst des Fliegens gefunden. Sie hatten Lehrmeister, die vor heute noch unbekannten Zeiten auf der Erde weilten; aber aus einer weit fortgeschrittenen Zivilisation kommend, waren technische Spielereien für sie, nehme ich an, ein Freizeithobby, und eine Erfindung waren die rocket-belts (Abb. 41). Amerikaner und Russen setzen diese Einmann-Flugapparate, anfänglich für die Raumfahrt konstruiert, ein, um Einzelkommandos über Flüsse und Hügel ans Ziel zu bringen. Auch Einmann-Heli-kopter sind längst keine Hexerei mehr: Rotorenblätter werden mit dem Motor im Huckepackverfahren montiert, auf der Brust liegt ein Kästchen mit dem Bedienungsaggregat. Läßt man ein Kind so einen seltsamen Flieger, den es im Fernsehen beobachtete, aus Holz und Stroh basteln, kommt bestimmt eine »Ritualmaske« dabei heraus. Das Kind sieht darin »seinen« Flieger.

41 Das zeitgenössische Gegenstück zum Fluggerät der Südseeinsulaner: Rocket-Belts, wie sie von Amerikanern und Russen für Einmann-Kommandos verwendet werden. Unsere Kinder, die aus Holz und Stroh so ein Rocket-Belt basteln, schaffen also eine Ritualmaske!


Nun ginge es selbst über das mir erlaubte Maß an Kühnheit hinaus, zu behaupten, die frühesten Vorfahren der Polynesier hätten Lehrmeister von einer fremden, technisch fortgeschrittenen Zivilisation aus dem Kosmos gehabt . . . wenn nicht die Legenden der Südseevölker genau das tun würden.

john white hat in seiner ancient history of the maori, New Zealand, 1887, mit Akribie Südseelegenden zusammengetragen. Als er 1880 seine Arbeit begann, wurden ihm viele vorzeitliche Geschichten noch aus erster Hand, von Priestern, berichtet. Schon die Themen des ersten Bandes deuten an, wo der Ursprung der Frühgeschichte zu suchen ist: Stammbaum der Götter Schöpfungsgeschichte Krieg im Weltall Schöpfung von Mann und Weib Sintflut und Berichte über die Arche Ehen zwischen Göttern und Menschen Reisen zwischen der Erde und anderen Sternen Nahrung, die vom Himmel fiel.

Die RONGAMAi-Legende berichtet von Stammeskriegen. In Gefahr, überrannt zu werden, suchte der Stamm der nga-ti-hau Schutz in einem befestigten Dorf. Als ihnen auch dort der übermächtige Gegner nachstellte, erbaten die NGA-TI-HAU-Krieger Hilfe des Gottes rongamai. Als die Sonne im Zenith stand, erschien der Gott:

»Seine Erscheinung war wie ein leuchtender Stern, wie eine Feuerflamme, wie eine Sonne.«

rongamai flog über den Dorf platz und ließ sich fallen: »Die Erde wurde aufgewühlt, Staubwolken verhüllten den Blick, der Lärm dröhnte wie Donner, dann wie das Rauschen in einer Muschel.« Die Stammeskrieger schöpften durch diesen Machtbeweis des Gottes neuen Mut und überrannten den verblüfften Gegner.

In der TAWHAKI-Legende steigt die Jungfrau hapai vom siebenten Himmel auf die Erde herab, um dort die Nächte mit einem »schönen Menschen« zu verbringen. Dieser auserwählte Mensch weiß nichts von der Herkunft der Jungfrau; erst als sie von ihm geschwängert war, gab sie die »Wahrheit« preis: sie kam von einer fernen, ihm unbekannten Welt, wo sie den Rang einer Göttin hatte. Nun freilich keine Jungfrau mehr, bringt sie eine Tochter zur Welt und kehrt nach der Geburt ins Weltall zurück.

Die Vielfalt der Hilfsmittel, mit denen die geheimnisumwitterten Wesen ins Weltall zurückkehren, ist verwirrend. Mal werden endlose Leitern benutzt, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, mal sind Türme vorhanden, die dem Start dienen, mal sind Spinnweben oder Weinranken kräftig genug, den Himmelwärtsreisenden einen Absprung zu bieten, aber sie lassen sich auch oftmals von Vögeln, vorzugsweise Drachen, tragen oder entern sich an Seilen ins Unendliche. Mögen die Startvarianten noch so unterschiedlich sein, ist vor jedem Aufstieg ein altes Weib da ... das, am Boden hockend, Kartoffeln zählt! Es warnt die Wesen vor »Winden, die erdwärts blasen«, und dann wirft es Kartoffeln, eine nach der anderen, ins Feuer, neun, acht, sieben, sechs, fünf.. . Das alte Weib veranstaltete wohl, wie im Space-Center, einen regelrechten Count-down.

In der polynesian mythology, Wellington, New Zealand, o. J., steht eine Legende, die sich die polynesischen Fischer erzählten:

Der Krieger uenuku ging am Rande eines Sees, als er in klarer Luft eine Nebelsäule am Strand schweben sah. Er nahm all seinen Mut zusammen und näherte sich der Erscheinung: er sah zwei bildhübsche Mädchen, die vom Himmel herabgestiegen waren, um im See zu baden. Von einer unbezwingbaren Kraft getrieben, ging er auf die Mädchen zu und begrüßte sie ehrfurchtsvoll. Entzückt von dem Anblick, bat er ein Mädchen, mit in sein Haus zu kommen, um seine Frau zu werden. Die Schöne antwortete:

»Ich liebe diese Welt.

Sie ist nicht kalt und leer wie der hohe Raum dort oben.« Merkwürdig, daß schlichte polynesische Fischer in der Legende etwas von einem kalten, leeren, hohen Raum »dort oben« zu berichten wissen, Land und Meer waren ihnen vertraut, aber ... der hohe Raum dort oben? Die gleiche Quelle überliefert einen geradezu grotesken legendären Bericht:

rupe, der auch unter dem Namen maui mua auftritt, brach auf, um seine Schwester hinaura zu suchen. Da er sie nicht rinden konnte, holte er den Rat seines Vorfahren rehua ein, der in dem Himmel an einem Ort, der sich te putahi hui o rehua nannte, lebte. rehua gürtete und maskierte sich und stieg zu den Himmeln auf.

Er gelangte an einen Ort, wo Menschen wohnten. Er fragte: »Sind die Himmel über diesem Himmel bewohnt?« »Ja, sie sind bewohnt«, antwortete man. »Kann ich zu diesen Himmeln gelangen?« fragte er. »Nein, du wirst sie nicht erreichen können, da diese Himmel von tane erbaut sind.«

rupe kämpfte sich in den zweiten Himmel durch, und er fand wieder Menschen, die er neuerlich fragte: »Sind die Himmel über diesem Himmel bewohnt?« »Ja, aber du wirst sie nicht erreichen können, da sie von tane erbaut wurden.«

Nochmals kämpft sich rupe aufwärts und findet wieder einen ort, der bewohnt ist.

»Sind die Himmel über diesem Himmel bewohnt?« »Ja, aber du wirst sie nicht erreichen, denn deine Maske ist nicht von tane.«

rupe gibt nicht auf, mühsam und mit letzter Kraft erreicht er den zehnten Himmel, wo er rehua (auch: hinaura) findet.

Über diesen allmächtigen tane weiß the ancient histo-ry of the maori, daß er der Gott der Wälder und der Tiere war. In einer Legende wird erzählt, daß er das erste Weib erschuf und in einer anderen, daß tane nach dem zweiten großen Krieg in den Himmeln die aufständischen Götter zwang, auf andere Welten in der Dunkelheit herniederzugehen, um für alle Ewigkeit in Zweifel zu leben, tane stattete die in der Himmelsschlacht Besiegten mit all seinen Kenntnissen und Fertigkeiten für den Flug in die Verdammnis aus. Muß man diesen Klartext noch erläutern? Muß man darauf hinweisen, daß für einen Flug ins Weltall Geräte und Masken notwendig sind? Muß man einer Generation, die alle Stadien der Mondflüge life durch Television miterlebte, sagen, daß ein Himmel nach dem anderen zu erobern ist? Daß dafür enorme Kenntnisse - ob nasa oder tane -Voraussetzung sind? Ich möchte aber an das Hauptwerk der kabbala, das Buch sohar, erinnern, in dem die Reportage des Rabbiners simon bar jochai das Gespräch zwischen einem Erdenbürger und einem Gestrandeten aus der Welt arqua festhält. Flüchtlinge, die eine Erdenkatastrophe überlebten, begegnen unter Führung des Rabbi yosse einem Fremden, der plötzlich aus einer Felsspalte tritt. yosse fragt den Fremden, von wo er komme. Der Fremde antwortet:

»Ich bin ein Bewohner arquas.« Der überraschte Rabbi erkundigt sich: »Es gibt also Lebewesen auf arqua?« Der Fremde antwortet:

»Ja. Als ich euch kommen sah, bin ich aus der Höhle gestiegen, um den Namen der Welt zu erfahren, auf der ich angekommen bin.«

Und er erzählte, daß in »seiner« Welt die Jahreszeiten anders wären als in »ihrem« Land, daß Saat und Ernte sich dort erst nach mehreren Jahren erneuern würden und daß die Bewohner von arqua alle Welten besuchen und alle Sprachen sprechen.

Die kabbala weiß von sieben verschiedenen Welten, aber auch, daß nur arqua Sendboten auf die Erde delegierte.

Solche direkten, eindeutigen Hinweise auf andere Welten — andere Planeten stehen in den Legenden, ich kann es nicht ändern. Immer brav, immer mit den alten Exegesen, die zu nichts geführt haben, werden sie interpretiert. Ja, sagen die Exegeten, solche Legenden kann man nicht enträtseln, wenn man sich nicht in die Denkweisen der Vorvorderen versetzt. Tun sie das denn? Sie glauben, es zu tun. In Wirklichkeit läßt sich die Vorstellungswelt vorzeitlicher, zum Teil spurlos verschwundener Völker überhaupt nicht nachempfinden, man kann nur annehmen, so oder so müßten sie wohl gedacht haben. Es ist eine Unterstellung. Jede Legendendeutung bleibt in der Denkweise der jeweiligen Gegenwart befangen und gefangen, aber auch das nur mit Einschränkungen: die Scheuklappen fallen herunter, sobald subjektive Deutungen mit den Kenntnissen dese Raumzeitalters versucht werden. Das darf nicht sein. Weil es in der Frühgeschichte keine Fliegerei gab, kann es auch keinen Kontakt mit anderen Planeten gegeben haben. Basta. Wie aber zieht man sich wie der weiland so unternehmenslustige Freiherr von Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf des Unerklärbaren?

Man bemüht die Psychologie: es waren Wunsch Vorstellungen aus -dem Unbewußten. Selbst mein Landsmann Carl Gustav Jung (1875 — 1961) muß mit seiner Lehre von der psychischen Energie, mit seiner Theorie von den Individuationen, vor allem aber mit seiner Philosophie vom Archetypus mit den urtümlichen, angeborenen Verhaltensweisen und Bildern herhalten. Die Welt ist wieder in ordnung. »Der Mensch hatte stets das Bedürfnis, es den Vögeln gleich zu tun.« Angeborene Verhaltensweisen? Urtümliche Bilder? Ich habe nichts gegen den Wunsch, Fliegen zu können, ich fliege selbst sehr gerne. Sollen doch unsere Urvorderen die gleiche Sehnsucht gehabt haben. Bitte. Gab ihnen denn das Unbewußte ganz konkrete Vorstellungen von Flugapparaten, ließ es sie präzise Angaben über nie gesehene Welten machen? Führte es ihre Hand, als sie technische Details auf Höhlenmalereien skizzierten? Als sie integrierte Schaltkreise ins Sonnentor von tiahuanaco meißelten? etana ist im babylonischen Epos vom Wunsch des Flie-gens besessen. Mag er davon träumen, mag er davon reden. Weder Träume noch Phantasien können ihm aber eine so bildhafte Schilderung der Erdoberfläche eingeben, wie sie im Epos steht:

»Die Erde war wie ein Garten, und das Meer furchte sich ins Land wie die Gräben, die der Gärtner zieht.«

Und fliegerisches Wunschdenken konnte Enkidu unmöglich die Beschreibung der Erde - wie sie sich aus hoher Sicht darbietet - im Wortlaut des gilgamesch-Epos vermitteln:

»Und das Land war wie ein Berg, und das Meer wie ein kleines Gewässer . . . Und das Land sah aus wie ein Mehlbrei, und das Meer wie ein Wassertrog.«

Im 18. Band des jahrbuch des Vereins deutscher Ingenieure, Berlin, 1928, untersucht Professor Richard hennig Texte zur Vorgeschichte der Luftfahrt. Er bezeichnet die ETANA-Legende als die »wohl älteste Flugsage der Welt«, die bis in die allerersten Anfänge der Geschichte zurückreichen müsse, weil sie bereits auf einem Siegelzylinder aus der Zeit zwischen 3000 und 2500 v. d. Z. bildlich dargestellt sei, während der Text in einer Keilschrift nur unvollständig erhalten blieb. Dieser Passus scheint dem Techniker besonders bemerkenswert:

»Nicht auf des Adlers Rücken, sondern Brust an Brust an ihn geklammert, wird etana emporgetragen zum Fixsternhimmel... Sechsmal während des Auffluges macht der Adler etana aufmerksam auf die immer mehr vor ihren Blicken zusammenschrumpfende Erde.« Genaue Beschreibungen, bildliche Darstellungen als Produkte des Unbewußten? Hier, denke ich, sollten die Psychoanalytiker den Adepten ihrer Wissenschaft Halt gebieten, um selbst glaubwürdig zu bleiben. Unsere Mythen- und Legendenforschung wie die Deutungen der Archäologie sind -soweit sie die Prähistorie betreffen - im Käfig vorgefaßter Ansichten eingesperrt. Die Augen sind blind, die Gedanken stumpf geworden. Die Wissenschaft, heißt es, könne phantastische Lösungen nicht akzeptieren, weil diese keinen empirischen, keinen belegbaren Unterbau hätten. Nun muten aber die seriösen Resultate von Tag zu Tag phantastischer an, während zu gleicher Zeit die verketzerten Phantasien einen realeren Hintergrund bekommen. Drei Prämissen sind die Grundlage aller Forschung: Freiheit des Denkens - Gabe der Beobachtung — Sinn für Zusammenhänge. Ihrer darf sich auch der Laienforscher bedienen.

Fliegen wir noch einmal zurück in die Südsee! Da geistert durch maorische Legenden der Gott pou-rangahua (Abb. 42), der von seinem legendären Sitz hawaiki auf einem magischen Vogel nach Neuseeland flog, hawaiki ist ein zusammengesetztes, aus dem Altindischen stammendes Wort und sinngemäß mit von der Milchstraße übersetzbar. Diesem pourangahua wird das älteste MAORI-Gebet zugeschrieben: »Ich komme,

und eine unbekannte Erde liegt unter meinen Füßen. Ich komme,

und ein neuer Himmel dreht über mir. Ich komme,

auf diese Erde und sie ist ein friedlicher Rastplatz für mich.

O Geist des Planeten!

Bescheiden offenbart Dir der Fremde

sein Herz als Nahrung.«

Neuseeland-Touristen sehen an Straßenrändern und Stränden Kugeln liegen, große, runde Kugeln bis zu Durchmessern von 3,16 m. Am MOERAKi-Beach, nördlich von dunedin, trudeln sie dutzendweise in allen Größen-Ordnungen herum (Abb. 10F). Durch die künstlichen Steinbälle von costa rica auf Kugeln dressiert, untersuchte ich selbstverständlich die neuseeländischen Arten gründlich. Diese Kugeln sind auf natürliche Weise entstanden. Sie bilden sich in weicherem Sandstein durch Ablagerung von Kalzit um einen Kern. Geologen datieren den Beginn der Kugelbildung in die obere Kreidezeit vor 135 Millionen Jahre.

42 Der Maori-Legende zufolge, flog der Gott Pourangahua auf seinem magischen Vogel von seinem legendären Wohnsitz Hawaiki aus nach Neuseeland. Ich komme und ein neuer Himmel dreht über mir...


Obwohl natürlich entstanden, gibt es eigenartige Exemplare darunter, sogenannte geoden. Eine geode ist ein in der Geologie benutzter Begriff, der aus dem Griechischen stammt; er ist sinngemäß mit »Mandelraum« richtig übersetzt: ein Gasblasenraum in Gesteinen, der ganz oder teilweise mit Mineralien angefüllt oder mit kristallinen Ablagerungen beschichtet ist. geoden werden, außer von Geologen, gern von geschäftstüchtigen Laien gesammelt, die sie durch Schneiden, Halbieren, Vierteln und Blankputzen zu begehrten Kostbarkeiten machen, die sie in ihren Raritätenläden anbieten. Schatzsucher solcher Art fanden 1961 in der Nähe von olancha, am Rande der Wüste von amar-gosa, einen Stein, der wie eine geode aussah, also in den großen Sammelkorb genommen wurde, dessen Inhalt sie nach der Heimkehr für den Kauf präparierten. Als sie die vermeintliche geode durchsägen wollten, zerbrach die Diamantsäge, weil der Stein - trotz seines Aussehens — nicht hohl, sondern massiv war. Geologen, die den Stein zerlegten, fanden im Innern ein unbekanntes, unter großer Hitzeeinwirkung zusammengeschmolzenes Gestein, mit irrisierender Oberfläche ... und in seinem Kern einen blanken Metallstift von 2 mm Durchmesser und 17 mm Länge.

Seltsam? »Horatio, es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumen läßt!« Die amerikanische Treuhandverwaltung bemüht sich, die Infrastruktur der Inseln zu verbessern, auf ponape werden Straßen gebaut, ein Elektrizitätswerk ist schon in Betrieb, der Hafen ist in Ausbau, ein Radiosender berieselt Insel und Inselchen mit Musik. Aber das ist alles noch am Anfang, um so verwunderlicher, daß auf der armen Insel nahezu jede Eingeborenenfamilie stolze Autobesitzerin ist! In vielen Hütten, selbst in solchen, die noch keinen elektrischen Strom haben, stehen Musikboxen. Der Besitzer meines sogenannten Erstklasshotels betrieb deren drei, und sie waren nervtötenderweise fast immer gleichzeitig in Betrieb; die wenigen Gäste konnten sich an zwei Flipperkästen die Zeit vertreiben und, am Tag, als ich die Insel verließ, wurde ihm eine elektrische Rechenmaschine in sein Etablissement geliefert. Ich bin nicht hinter das Geheimnis dieses absurden Reichtums gekommen. Die Eingeborenen sind arm und rechtschaffen faul, sie sind auch an Geschäften nicht interessiert. Ich mußte alle Überredungskünste aufwenden, um überhaupt zwei Boys zu finden, die mich täglich nach nan madol hinausfuhren.

Zwar sind Amerikaner fabelhafte Verkaufsgenies, aber sie wollen für ihre Lieferungen Geld sehen. Woher haben die Insulaner soviel Geld für so viele, meist nutzlose Sachen? Mir kamen immer wieder die japanischen Taucher in den Sinn, die Platinstücke vom Grund des Meeres holten ...

Vielleicht habe ich eine Chance versäumt, im Moment einer vollkommenen Hellsichtigkeit hinter alle Geheimnisse zu kommen.

Am Tag vor meiner Abreise wurde ich von Eingeborenen in ihr Dorf eingeladen. Längst weiß ich, daß man solche Gesten der Gastfreundschaft nicht ausschlagen darf: nie kann man an den ort zurückkehren, wenn man unhöflich war. Die älteste Frau des Klans begrüßte mich und führte mich durch einige Hütten zum Dorf platz: Frauen und Mädchen hockten vor einem hohlen Baumstamm und begannen, als sie meiner ansichtig wurden, mit Stäben einen Rhythmus, etwa im Tempo eines Blues, zu schlagen. Männer und Burschen traten in den Kreis und begannen zu stampfen, während sie, in der Drehung, sehr geschickt auf anders abgestimmte Holzstämme schlugen. Sie zogen mich in ihr zunächst friedliches Rin-gelreihn, aber es wurde fürchterlich, die Rhythmusgruppe der Damen legte an Tempo zu, die Luft war heiß und stickig, und ich mußte mitmachen, auf der Stelle hüpfen, im Kreise laufen und stampfen, nur den Holzspeer hat man mir erspart. Der Rock 'n' Roll der fünfziger Jahre war sanft wie ein Tango gegen unsere Darbietung.

Schlimmeres stand mir bevor.

Ich wurde in eine Hütte geführt, auf dem Boden lag ein großer flacher Stein, sechs Männer - und ich - wurden rundherum plaziert. Teens des Stammes brachten frische Wurzeln eines jungen Baumes (lat. piper methysticum).

Mit Lianenbüscheln wurden die Wurzeln oberflächlich gereinigt und auf den Stein gelegt. Die Männer griffen zu Steinfäustlingen und hämmerten im Takt auf die Wurzeln ein, etwa eine halbe Stunde lang. Aus den Wurzeln troff eine klebrige, braune breiige Masse. Die Teens brachten Pflanzenfasern und breiteten sie an den Rändern des Steines sorgfältig aus. Die routinierten Saftklopfer strichen nun den Brei auf die Fasern, und je zwei drehten die Fasern zu einem Strick: die üble Soße, die in Kokosschalen tropfte, war sakao. Ein unschuldiger Jüngling - die Riten gebieten, daß es ein unschuldiger Jüngling ist — kniete vor mir nieder und reichte mir, ohne mir in die Augen zu sehen - was streng verboten ist — die Schale. Was tut man nicht alles zur Völkerverständigung! Ich setzte die Schale an die Lippen, alle Augen starrten mich an, ich würgte einige Schlucke hinunter. Ich reichte die Schale meinem Nachbarn, der das grauenhafte Gesöff schlürfte wie edlen Champagner. Die Schale wurde aufgefüllt, und alle genossen das festliche Gelage, bis sie sich bald hinlegten und in einen tiefen seligen Schlaf fielen. sakao wirkt wie eine Droge, macht aber nicht süchtig und auch kein Kopfweh beim Erwachen, sakao soll, sagten mir Kenner, eine Wirkung hervorrufen wie lsd. Über lsd las ich, daß es zu Momenten unerhörter, unvorstellbarer Klarsicht verhilft. Hätte ich eine größere Portion des ekligen Saftes geschluckt, wäre mir möglicherweise - unter den Eindrücken der letzten Tage stehend - jene Erleuchtung gekommen, die die Geheimnisse von nan madol schlagartig erklärt hätten. So muß ich denn meine Fragen an die zünftigen Gelehrten weiterreichen, die bisher ohne die rechte Klarsicht im Trüben fischen.

Übrigens: nan madol ist eine Zusammensetzung aus der Sprache der Ponapesen und bedeutet »Ort der Zwischenräume«.

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