Perrin saß allein auf einem Baumstumpf und hielt das Gesicht mit geschlossenen Augen dem dunklen Himmel entgegen. Das Lager war aufgeschlagen, das Wegetor geschlossen und die Berichte angehört. Er hatte endlich Zeit, sich auszuruhen.
Das war gefährlich. Ausruhen bedeutete, er konnte nachdenken. Nachdenken förderte Erinnerungen zutage. Erinnerungen brachten Schmerzen.
Der Wind ließ ihn die Welt riechen. Die verschiedensten Schichten von Gerüchen, die sich vermengten. Das Lager: verschwitzte Menschen, Gewürze, Kernseife, Pferdemist, Gefühle. Die sie umgebenden Hügel: vertrocknete Kiefernnadeln, Schlamm von einem Fluss, der Kadaver eines toten Tieres. Die sich dahinter ausbreitende Welt: Anzeichen von Staub einer fernen Straße, ein Büschel Lavendel, das irgendwie in der sterbenden Welt überlebt hatte.
Pollen gab es keine. Es gab keine Wölfe. Beides erschien Perrin wie ein schreckliches Zeichen.
Ihm war übel. Körperlich übel, als wäre sein Magen mit schlammigem Sumpfwasser, verfaulendem Moos und toten Käfern gefüllt. Er wollte schreien. Er wollte den Schlächter finden und ihn töten, ihm die Fäuste ins Gesicht schlagen, bis sie im Blut versanken.
Schritte näherten sich. Faile. »Perrin? Magst du reden?«
Er schlug die Augen auf. Er hätte weinen sollen, schreien. Aber er fühlte sich so kalt. Kalt und wütend. Das passte seiner Meinung nach überhaupt nicht zusammen.
Sein Zelt war in der Nähe aufgeschlagen; die Eingangsplanen flatterten im Wind. Ein paar Schritte entfernt lehnte Gaul an einem Zwerglorbeerschössling. In der Ferne arbeitete noch einer der Hufschmiede. Leise Hammerschläge in der Nacht.
»Ich habe versagt, Faile«, flüsterte er.
Sie kniete neben ihm nieder. »Du hast das Ter’angreal erbeutet. Du hast die Menschen gerettet.«
»Und trotzdem hat uns der Schlächter geschlagen«, sagte er bitter. »Ein Rudel aus fünf von uns reichte nicht aus, um ihn zu besiegen.«
Genauso hatte er sich gefühlt, als er seine tote Familie fand, getötet von den Trollocs. Wen würde ihm der Schatten noch entreißen, bis das hier vorbei war? Springer hätte im Wolfstraum sicher sein müssen.
Dummer Welpe, dummer Welpe.
Hatte es überhaupt je eine Falle für sein Heer gegeben? Möglicherweise war der Traumnagel des Schlächters ja für einen ganz anderen Zweck bestimmt gewesen. Und alles war nur ein Zufall.
Für einen Ta’veren gibt es keine Zufälle …
Er musste etwas finden, was er mit seinem Zorn und seinem Schmerz tun konnte. Er stand auf, drehte sich um und sah überrascht, wie viele Lichter noch im Lager brannten. In der Nähe wartete eine Gruppe Menschen, weit genug von ihm entfernt, dass er ihre Gerüche nicht einzeln wahrgenommen hatte. Alliandre in einem goldenen Kleid. Berelain in Blau. Beide saßen an einem kleinen Reisetisch aus Holz auf Stühlen. Darauf stand eine flackernde Laterne. Neben ihnen saß Elyas auf einem Stein und schärfte seine Messer. Ein Dutzend Männer von den Zwei Flüssen – darunter Will al’Sleen, Jon Ayellin und Grayor Frenn – kauerten um ein Feuer und schauten in seine Richtung. Selbst Arganda und Gallenne waren da und unterhielten sich leise.
»Sie sollten schlafen«, sagte Perrin.
»Sie sorgen sich um dich«, sagte Faile. Sie roch ebenfalls besorgt. »Und sie haben Angst, dass du sie jetzt fortschickst, weil die Wegetore wieder funktionieren.«
»Narren«, flüsterte Perrin. »Es sind Narren, weil sie mir folgen. Narren, weil sie sich nicht verstecken.«
»Würdest du das wirklich von ihnen wollen?«, sagte Faile ärgerlich. »Sich irgendwo zu verkriechen, während die Letzte Schlacht geschlagen wird? Hast du nicht gesagt, dass jeder Mann gebraucht wird?«
Sie hatte recht. Jeder Mann würde gebraucht werden. Er begriff, dass seine Frustration nicht zuletzt daher stammte, weil er nicht wusste, was er eigentlich genau entkommen war. Er war davongekommen, aber wovon? Wofür war Springer gestorben? Den Plan des Feindes nicht zu kennen gab ihm das Gefühl, völlig blind zu sein.
Er erhob sich vom Baumstumpf und begab sich zu Arganda und Gallenne. »Bringt mir Eure Karte«, verlangte er. »Die von der Jehannahstraße.«
Arganda rief Hirshanin herbei und erklärte ihm, wo er eine finden würde. Hirshanin rannte los, und Perrin ging ins Lager hinein. Auf den Laut aufeinandertreffenden Metalls zu, in Richtung des Hufschmieds. Perrin schien davon angezogen zu werden. Um ihn herum wogten die Gerüche des Lagers, über ihm grollte der Himmel.
Die anderen folgten ihm. Faile, Berelain und Alliandre, die Männer von den Zwei Flüssen, Elyas, Gaul. Die Gruppe wuchs, als sich zwei weitere Männer von den Zwei Flüssen dazugesellten. Keiner sagte ein Wort, und Perrin ignorierte sie, bis er zu Aemin kam, der am Amboss arbeitete. Neben ihm stand eine der von Pferden gezogenen transportablen Lagerschmieden, in der rote Glut brannte.
Hirshanin holte mit der Karte Perrin ein. Perrin entrollte sie und hielt sie vor sich, während Aemin in seiner Arbeit innehielt. Er roch neugierig. »Arganda, Gallenne«, sagte Perrin. »Sagt mir eines. Wenn Ihr den besten Hinterhalt für eine auf dieser Straße reisende große Gruppe aufbauen würdet, wo würdet Ihr das tun?«
»Hier«, sagte Arganda ohne zu zögern und zeigte auf eine Stelle, die sich mehrere Wegstunden von ihrem ehemaligen Lager entfernt befand. »Seht Ihr? Die Straße macht dort eine Biegung und folgt einem alten ausgetrockneten Flussbett. Ein Heer wäre einem Hinterhalt dort schutzlos ausgeliefert; man könnte es von den Höhen hier und hier angreifen.«
Gallenne nickte. »Ja. Diese Gegend ist als ausgezeichneter Rastplatz für eine große Gruppe gekennzeichnet. Am Fuß dieses Hügels, wo die Straße diese Biegung beschreibt. Aber sollte Euch jemand auf den Höhen etwas antun wollen, dann würdet Ihr am Morgen vermutlich nicht wieder erwachen.«
Arganda nickte.
Die Hügel erhoben sich nördlich von der Straße und waren oben flach; das alte Flussbett hatte einen breiten, ebenen Pfad ausgeschnitten, der nach Süden und Westen hin tief ausgewaschen war. Auf diesen Höhen konnte man eine ganze Armee aufstellen.
»Was ist das?« Perrin zeigte auf ein paar Eintragungen südlich der Straße.
»Alte Ruinen«, erklärte Arganda. »Nichts von Bedeutung; sie sind viel zu verwittert, um als Deckung zu dienen. Eigentlich sind sie nicht mehr als ein paar moosbedeckte Felsbrocken.«
Perrin nickte. Plötzlich ergab etwas für ihn Sinn. »Schlafen Grady und Neald schon?«, wollte er wissen.
»Nein«, antwortete Berelain. »Sie sagten, sie wollten für alle Fälle wach bleiben. Ich glaube, Eure Stimmung hat ihnen Angst gemacht.«
»Schickt nach ihnen«, sagte Perrin, ohne jemanden Bestimmten zu meinen. »Einer von ihnen muss das Lager der Weißmäntel überprüfen. Wenn ich mich richtig erinnere, hat jemand gesagt, dass sie das Lager abgebrochen haben.« Er wartete nicht darauf, dass sein Befehl befolgt wurde. Stattdessen trat er an den Schmiedeofen und legte Aemin die Hand auf die Schulter. »Geht schlafen, Aemin. Ich muss an etwas arbeiten. Das sind Hufeisen, oder?«
Der Mann nickte überrascht. Perrin übernahm seine Schürze und die Handschuhe, und Aemin ging. Perrin zog seinen eigenen Hammer. Der Hammer, den man ihm in Tear gegeben hatte, ein Hammer, mit dem getötet worden war, der aber schon so lange Zeit nichts mehr erschaffen hatte.
Der Hammer konnte entweder Waffe oder Werkzeug sein. Perrin hatte die Wahl, genau wie jeder, der ihm folgte, die Wahl hatte. Springer hatte eine Wahl gehabt. Der Wolf hatte sich entschieden und mehr zur Verteidigung des Lichts riskiert, als jeder Mensch – mit Ausnahme von Perrin – je verstehen würde.
Mit der Zange zog Perrin ein kleines Stück Metall aus der Glut und legte es auf den Amboss. Er hob den Arm und fing an zu hämmern.
Es war lange her, dass er in einer Schmiede gestanden hatte. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trog, hatte er das letzte Mal in Tear vernünftige Arbeit geleistet, an diesem friedlichen Tag, als er sich eine Weile von seiner Verantwortung befreit und in dieser Schmiede gearbeitet hatte.
Du bist wie ein Wolf, mein Gemahl, hatte Faile damals zu ihm gesagt und damit seine Konzentration gemeint. So waren Wölfe; sie konnten Vergangenheit und Zukunft kennen und doch ihre Aufmerksamkeit ganz auf die Jagd richten. Konnte er das auch? Falls nötig erlauben, sich völlig vereinnahmen zu lassen, und gleichzeitig in anderen Teilen seines Lebens das Gleichgewicht bewahren?
Die Arbeit fing an, ihn in Beschlag zu nehmen. Der rhythmische Schlag des Hammers auf dem Metall. Er verflachte das Eisenstück, schob es gelegentlich wieder in die Glut und holte ein anderes hervor, arbeitete gleichzeitig an mehreren Hufeisen. In der Nähe hatte er die nötigen Maße, die gebraucht wurden. Langsam krümmte er das Metall an der Ambossseite und formte es. Seine Arme begannen zu schwitzen, Feuer und Arbeit wärmten sein Gesicht.
Neald und Grady trafen ein, begleitet von den Weisen Frauen und Masuri. Während Perrin arbeitete, bemerkte er, dass sie Sulin durch ein Wegetor schickten, um nach den Weißmänteln zu sehen. Sie kehrte kurze Zeit später zurück, wartete aber mit ihrem Bericht, da er sich auf seine Arbeit konzentrierte.
Er hielt ein Hufeisen hoch, dann runzelte er die Stirn. Diese Arbeit war einfach nicht schwierig genug. Sie war beruhigend, das schon, aber heute brauchte er eine größere Herausforderung. Er verspürte den Drang, etwas zu erschaffen, als wollte er die Zerstörung ausgleichen, die er in der Welt gesehen hatte, die Zerstörung, an der er seinen Anteil hatte. Neben dem Ofen waren mehrere Stücke unbearbeiteten Stahls aufgeschichtet, besseres Material, als man für gewöhnlich für Hufeisen benutzte. Vermutlich wartete es darauf, für die ehemaligen Flüchtlinge zu Schwertern verarbeitet zu werden.
Perrin nahm mehrere der Stangen und schob sie ins Feuer. Dieser Ofen war nicht so gut wie der, an den er gewöhnt war; obwohl er über einen Blasebalg und drei Fässer zum Ablöschen verfügte, kühlte der Wind das Metall ab, und die Kohlen wurden nicht so heiß, wie er es gern hatte. Unzufrieden betrachtete er sie.
»Ich kann Euch dabei helfen, Lord Perrin«, sagte Neald von der Seite. »Das Eisen heiß machen, falls Ihr es wünscht.«
Perrin musterte ihn, dann nickte er. Mit der Zange holte er eine Stange hervor. »Ich will ein ordentliches Gelbrot. Aber nicht so heiß, dass sie weißglühend wird.«
Neald nickte. Perrin legte die Stange auf den Amboss, nahm den Hammer und schlug darauf ein. Neald stellte sich neben ihn und konzentrierte sich.
Perrin verlor sich in der Arbeit. Schmiedete den Stahl. Alles andere verblich. Das rhythmische Pochen des Hammers auf dem Metall war wie der Schlag seines Herzens. Dieses schimmernde Metall, so warm und gefährlich. In dieser Konzentration fand er Klarheit. Die Welt zersplitterte, zerbrach jeden Tag ein Stückchen mehr. Sie brauchte Hilfe, und zwar sofort. War ein Ding erst einmal zersplittert, konnte man es nicht wieder zusammenfügen.
»Neald«, sagte Gradys Stimme. Es klang drängend, aber Perrin nahm sie wie aus weiter Ferne wahr. »Neald, was tut Ihr da?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Neald. »Aber es fühlt sich richtig an.«
Perrin hieb weiter darauf ein, immer härter. Er faltete das Metall, verflachte Stücke aufeinander. Der Asha’man hielt die Temperatur auf großartige Weise immer genau richtig. Das befreite Perrin davon, sich auf die wenigen Augenblicke perfekter Temperatur zwischen verschiedenen Phasen der Erhitzung verlassen zu müssen.
Das Metall schien zu fließen, als würde es allein von seinem Willen geformt. Was stellte er da überhaupt her? Er nahm die anderen beiden Werkstücke aus den Flammen, dann fing er an, alle drei gleichzeitig zu bearbeiten. Das erste – und größte – Stück faltete er in sich zusammen und formte es, benutzte eine Technik namens Stauchen, womit er den Umfang vergrößerte. Er formte es zu einer großen Kugel, dann fügte er noch mehr Stahl hinzu, bis es beinahe die Größe eines Männerkopfes hatte. Das zweite Stück zog er in die Länge und machte es dünn, dann faltete er es zu einem schmalen Stab zusammen. Das dritte und kleinste Stück klopfte er flach.
Er atmete ein und aus, und seine Lungen arbeiteten wie Blasebälge. Sein Schweiß war wie das Ablöschwasser. Seine Arme waren wie der Amboss. Er war die Schmiede.
»Weise Frauen, ich brauche einen Zirkel«, sagte Neald drängend. »Jetzt sofort. Sagt nichts! Ich brauche ihn!«
Funken flogen in die Luft, als Perrin zuschlug. Mit jedem Schlag größere Wolken. Er fühlte, wie etwas aus ihm heraussickerte, als würde jeder Schlag das Metall mit seiner Kraft und auch seinen Gefühlen versehen. Sowohl den Sorgen wie auch den Hoffnungen. Sie flossen aus ihm in diese drei Rohstücke.
Die Welt lag im Sterben. Er konnte sie nicht retten. Das war Rands Aufgabe. Perrin wollte einfach wieder zu seinem einfachen Leben zurückkehren, oder nicht?
Nein. Nein, er wollte Faile, er wollte Vielschichtigkeit. Er wollte das Leben. Er konnte sich nicht verstecken, genauso wenig, wie sich die Menschen verstecken konnten, die ihm folgten.
Er wollte ihre Loyalität nicht. Aber er hatte sie. Wie würde er sich fühlen, wenn jemand anders den Befehl übernahm und sie in den Tod führte?
Schlag auf Schlag. Wild sprühende Funken. Zu viele, als würde er auf einen Eimer mit geschmolzener Flüssigkeit einschlagen. Funken schossen in die Luft, explodierten von seinem Hammer, flogen so hoch wie Baumwipfel und breiteten sich mehr als zehn Schritte weit aus. Die Beobachter zogen sich zurück, nur die Asha’man und Weisen Frauen blieben; sie hatten sich um Neald geschart.
Ich will sie nicht führen, dachte Perrin. Aber wenn ich es nicht tue, wer dann? Wenn ich sie verlasse und sie sterben, dann ist es meine Schuld.
Er erkannte nun, was er da herstellte, was er die ganze Zeit versucht hatte herzustellen. Den größten Klumpen formte er zu einem Ziegel. Das lange Stück wurde eine drei Finger breite Stange. Das flache Stück wurde zu einer Halterung, ein Stück Metall, das Kopf und Stiel miteinander verband.
Ein Hammer. Er fertigte einen Hammer. Das waren die Einzelteile.
Endlich begriff er.
Er wuchs an seiner Aufgabe. Schlag um Schlag. Diese Schläge waren so laut. Jeder Schlag schien den Boden zu seinen Füßen erbeben zu lassen, rüttelte an den Zelten. Perrin frohlockte. Er wusste, was er da herstellte. Endlich wusste er, was er machte.
Er hatte nicht darum gebeten, Anführer zu werden, aber entband ihn das von jeder Verantwortung? Die Menschen brauchten ihn. Die Welt brauchte ihn. Und mit einer Erkenntnis, die in ihm abkühlte wie geschmolzener Stein, der eine Form annahm, wurde ihm klar, dass er führen wollte.
Wenn schon jemand der Lord für diese Leute sein musste, dann wollte er es selbst sein. Denn es selbst zu machen war die einzige Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass es richtig gemacht wurde.
Er benutzte Meißel und Rundhorn, formte ein Loch in der Mitte des Hammerkopfes, dann nahm er den Stiel, hob ihn hoch über den Kopf und rammte ihn an Ort und Stelle. Er nahm die Halterung und schob den Hammer hinein, formte sie zurecht. Noch vor Augenblicken hatte sich diese Arbeit von seinem Zorn genährt. Aber jetzt schien sie seine Entschlossenheit hervorzuholen.
Metall war lebendig. Das wusste jeder Schmied. Sobald man es erhitzte und damit arbeitete, lebte es. Er nahm Hammer und Meißel und fing an, Muster und Kanten zu formen. Funken sprühten auf, das Hallen seines Hammers wurde immer stärker und immer lauter, dröhnte glockengleich. Mit dem Meißel formte er ein kleines Stück Stahl zurecht, das er auf dem neuen Hammer ablegte.
Und mit einem gewaltigen Aufschrei hob er den alten Hammer ein letztes Mal hoch über den Kopf und schmetterte ihn auf den neuen Hammer hinunter, prägte die Verzierung auf der Kopfseite ein. Ein springender Wolf.
Perrin senkte die Werkzeuge. Auf dem Amboss lag ein wunderbarer Hammer, in dessen Inneren noch immer Hitze glühte. Ein Werk, das alles überragte, was er je erschaffen hatte oder glaubte, jemals erschaffen zu können. Es wies einen dicken, mächtigen Kopf auf, der an einen Spalthammer oder Vorschlaghammer erinnerte, aber der hintere Teil war flach. Wie das Werkzeug eines Schmiedes. Vom Ende bis zur Spitze maß er vier Fuß, vielleicht sogar noch mehr, eine gewaltige Größe für einen Hammer dieser Art.
Der Stiel bestand aus Stahl, was Perrin noch nie zuvor an einem Hammer gesehen hatte. Er hob ihn hoch; er konnte ihn mit einer Hand heben, wenn auch nur so gerade eben. Er war schwer. Massiv.
Die Verzierung bestand aus einer Schraffur mit dem eingestanzten springenden Wolf an der einen Seite. Er sah wie Springer aus. Perrin streichelte mit einem schwieligen Daumen darüber, und das Metall kam zur Ruhe. Es fühlte sich noch immer warm an, verbrannte ihn aber nicht.
Als er sich umdrehte, erstaunte ihn die Größe der Menge, die ihm zusah. Die Männer aus den Zwei Flüssen standen ganz vorn, Jori Congar, Azi al’Thone, Will al’Sleen und Hunderte andere. Ghealdaner, Cairhiener, Andoraner, Mayener. Alle sahen stumm zu. Der Boden um Perrin war von den landenden Funken geschwärzt; um ihn herum breiteten sich sternförmig Tropfen aus silbrigem Metall aus.
Neald sackte keuchend auf die Knie, das Gesicht von einer dicken Schweißschicht überzogen. Grady und die Frauen des Zirkels setzten sich; alle sahen erschöpft aus. Alle sechs Weisen Frauen hatten daran teilgenommen. Was hatten sie getan?
Perrin fühlte sich erschöpft, als wäre seine gesamte Kraft und sämtlichen Gefühle in das Metall geschmiedet worden. Aber er konnte sich nicht ausruhen. »Will. Vor Wochen gab ich Euch einen Befehl. Verbrennt die Banner mit dem Wolfskopf. Habt Ihr gehorcht? Habt Ihr jedes davon verbrannt?«
Will al’Sleen erwiderte seinen Blick, dann schaute er beschämt zu Boden. »Lord Perrin, ich habe es versucht. Aber … beim Licht, ich konnte es nicht tun. Ich habe eins behalten. Das, das ich nähen half.«
»Holt es, Will«, sagte Perrin. Seine Stimme klang wie Stahl.
Will rannte los. Er roch verängstigt. Kurze Zeit später kehrte er zurück und trug ein zusammengefaltetes Tuch, weiß mit rotem Rahmen. Perrin nahm es entgegen, dann hielt er es andächtig in der einen Hand, den Hammer in der anderen. Er schaute die Menge an. Faile war da, die Hände vor der Brust verschränkt. Sie roch hoffnungsvoll. Sie konnte in ihn hineinsehen. Sie wusste Bescheid.
»Ich habe versucht, Euch fortzuschicken«, wandte sich Perrin an die Menge. »Ihr wolltet nicht gehen. Ich habe Fehler. Das müsst Ihr wissen. Wenn wir in den Krieg ziehen, werde ich Euch nicht alle beschützen können. Ich werde Fehler machen.«
Er betrachtete die Menge, erwiderte die Blicke derjenigen, die dort standen. Jeder Mann und jede Frau, die er ansah, nickte stumm. Kein Zögern, kein Bedauern. Sie nickten.
Perrin holte tief Luft. »Wenn Ihr es wollt, dann akzeptiere ich Eure Treueide. Ich führe Euch.«
Sie jubelten. Ein gewaltiges Aufbrüllen voller Aufregung. »Goldauge! Goldauge der Wolf! Zur Letzten Schlacht! Tai’shar Manetheren!«
»Will!«, brüllte Perrin und hielt das Banner in die Höhe. »Hisst dieses Banner hoch. Nehmt es nicht herunter, bevor die Letzte Schlacht gewonnen ist. Ich marschiere unter dem Zeichen des Wolfes. Der Rest von Euch, weckt das Lager. Jeder Soldat soll sich zum Kampf bereit machen. Wir haben heute Nacht noch eine weitere Aufgabe zu erledigen!«
Der junge Mann nahm das Banner und entfaltete es, Jori und Azi sprangen an seine Seite und hielten es, damit es den Boden nicht berührte. Sie hielten es in die Höhe und rannten los, um eine Stange zu holen. Die Menge löste sich auf, Männer liefen in alle Richtungen, riefen die Befehle heraus.
Perrin nahm Faile bei der Hand, als sie auf ihn zutrat. Sie roch zufrieden. »Das war es also?«
»Keine Klagen mehr«, versprach er. »Es gefällt mir nicht. Aber das Töten gefällt mir auch nicht. Ich werde tun, was getan werden muss.« Er betrachtete den Amboss, der von seiner Arbeit geschwärzt war. Sein alter Hammer lag abgenutzt und verbeult mitten darauf. Es machte ihn traurig, ihn zurückzulassen, aber er hatte seine Entscheidung gefällt.
»Was habt Ihr getan, Neald?«, fragte er, als der Asha’man noch immer ganz blass taumelnd auf die Füße kam. Perrin hob den neuen Hammer und zeigte das prächtige Werk.
»Ich weiß es nicht, mein Lord«, sagte Neald. »Es ist nur … nun, es war genau so, wie ich sagte. Es fühlte sich richtig an. Ich sah, was zu tun war, wie man die Gewebe in das Metall einbetten musste. Es schien sie in sich hineinzuziehen, so wie ein Ozean das Wasser eines Flusses trinkt.« Er errötete, als hielte er das für einen albernen Vergleich.
»Das klingt gut«, sagte Perrin. »Dieser Hammer braucht einen Namen. Kennt Ihr Euch in der Alten Sprache aus?« »Nein, mein Lord.«
Perrin betrachtete den Wolf, der in die Seite eingegraben war. »Weiß hier jemand, wie man sagt ›Er, der sich erhebt‹?«
»Ich … ich weiß nicht…«
»Mah’alleinir«, sagte Berelain und trat vor.
»Mah’alleinir«, wiederholte Perrin. »Es fühlt sich richtig an. Sulin? Was ist mit den Weißmänteln?«
»Sie haben ihr Lager aufgeschlagen, Perrin Aybara.«
»Zeigt es mir«, sagte er und deutete auf Argandas Karte.
Die Tochter wies auf die Stelle: ein Stück Land an einem Hügel, zu dem nördlich ein Höhenzug verlief; aus Nordosten kam die Straße und wand sich um den südlichen Teil der Höhen – folgte dem Verlauf des uralten Flussbettes -, um auf den Lagerplatz am Hügel zu treffen, wo sie nach Süden abbog. Von dort führte die Straße weiter nach Lugard, aber das Lager war von beiden Seiten vom Wind geschützt. Es war ein perfekter Lagerplatz, aber auch ein perfekter Ort für einen Hinterhalt. Der Platz, den Arganda und Gallenne gezeigt hatten.
Er musterte den Weg und das Lager, dachte an alles, was in den letzten paar Wochen geschehen war. Wir trafen Reisende … sie sagten, dass der Schlamm im Norden mit Wagen oder Karren fast völlig unpassierbar ist…
Eine Schafherde, die vor dem Rudel in den Rachen einer Bestie lief. Faile und die anderen, die auf eine Klippe zugingen. Beim Licht!
»Grady, Neald«, sagte er. »Ich brauche ein Wegetor. Schafft ihr das?«
»Ich denke schon«, sagte Neald. »Gebt uns ein paar Minuten zum Verschnaufen.«
»Gut. Öffnet es hier.« Perrin zeigte auf die Höhen über dem Lager der Weißmäntel. »Gaul!« Wie gewöhnlich wartete der Aiel in der Nähe. Er trabte herbei. »Ich will, dass du mit Dannil, Arganda und Gallenne sprichst. Ich will, dass das ganze Heer so schnell wie möglich durchgeht, aber sie sollen es so leise wie möglich tun. Wir müssen uns so verstohlen bewegen, wie das ein Heer dieser Größe kann.«
Gaul nickte und rannte los. Gallenne war noch in der Nähe. Gaul fing mit ihm an.
Faile beobachtete Perrin; sie roch neugierig und etwas nervös. »Was planst du, Gemahl?«
»Für mich ist die Zeit gekommen zu führen«, sagte Perrin. Er schaute ein letztes Mal auf seinen alten Hammer und berührte den Stiel mit den Fingern. Dann legte er sich Mah’alleinir auf die Schulter und ging; unter seinen Füßen knirschten die Tropfen aus gehärtetem Stahl.
Das Werkzeug, das er zurückließ, war der Hammer eines einfachen Schmiedes. Dieser würde immer ein Teil von ihm sein, aber er konnte es sich nicht länger leisten, sich von ihm führen zu lassen.
Von jetzt an würde er den Hammer eines Königs tragen.
Faile strich mit den Fingern über den Amboss, als Perrin ging und weitere Befehle rief, um das Heer vorzubereiten.
Ob er sich bewusst war, wie er ausgesehen hatte, als er da im Funkenschauer stand und jeder Schlag seines Hammers den Stahl vor ihm pulsieren ließ und aufblitzend zum Leben erweckte? Seine goldenen Augen hatten so hell geblitzt wie der Stahl; jedes Klirren des Hammers war beinahe ohrenbetäubend gewesen.
»Es ist viele Jahrhunderte her, seit dieses Land die Schöpfung einer mit der Macht gefertigten Waffe erlebt hat«, sagte Berelain. Die meisten anderen waren gegangen, um Perrins Befehle auszuführen, und abgesehen von dem in der Nähe stehenden und die Karte studierenden Gallenne waren sie allein. »Es ist ein starkes Talent, das der junge Mann da gerade gezeigt hat. Das wird nützlich sein. Perrins Heer wird mit der Macht gefertigte Klingen haben, die es stärker macht.«
»Der Prozess erschien sehr kräfteraubend«, bemerkte Faile. »Selbst wenn Neald wiederholen kann, was auch immer er da tat, bezweifle ich, dass wir die Zeit haben, um viele Waffen herstellen zu können.«
»Jeder kleine Vorteil hilft«, meinte Berelain. »Dieses Heer, das Euer Gemahl geschmiedet hat, wird etwas Unglaubliches sein. Hier ist ta’veren am Werk. Er schart Männer um sich, und sie lernen mit erstaunlicher Schnelligkeit und Geschick.«
»Vielleicht«, sagte Faile und ging langsam um den Amboss herum, nahm den Blick dabei nicht von Berelain, die genau ihr gegenüber darum herum ging. Was für ein Spiel spielte sie denn jetzt schon wieder?
»Dann müssen wir mit ihm sprechen«, sagte Berelain. »Ihn davon abbringen.«
»Wovon abbringen?«, fragte Faile ehrlich verwirrt.
Berelain blieb stehen; in ihren Augen lag ein undefinierbares Funkeln. Sie erschien angespannt. Sie macht sich Sorgen, dachte Faile. Große Sorgen.
»Lord Perrin darf die Weißmäntel nicht angreifen«, sagte Berelain. »Bitte, Ihr müsst mir helfen, ihn zu überreden.«
»Er wird sie nicht angreifen«, erwiderte Faile. Da war sie sich ziemlich sicher.
»Er baut einen perfekten Hinterhalt auf«, sagte Berelain. »Asha’man, die die Eine Macht einsetzen, Bogenschützen von den Zwei Flüssen, die aus der Höhe auf das Lager der Kinder schießen. Kavallerie, die danach hinunterreitet und den Rest erledigt.« Sie zögerte und erschien gequält. »Er hat sie perfekt ausgespielt. Er hat ihnen gesagt, dass er ihre Strafe akzeptiert, wenn er und Damodred die Letzte Schlacht überleben. Aber Perrin wird dafür sorgen, dass die Weißmäntel die Letzte Schlacht nicht mehr erleben. Auf diese Weise muss er seinen Schwur nicht brechen, muss sich ihnen aber auch nicht ergeben. «
Faile schüttelte den Kopf. »Das würde er niemals tun.«
»Könnt Ihr da sicher sein? Völlig sicher?«
Faile zögerte. Perrin hatte sich in letzter Zeit verändert. Die meisten Veränderungen waren gut, so wie seine Entscheidung, endlich die Rolle des Anführers zu akzeptieren. Und der Hinterhalt, von dem Berelain sprach, würde eine Art perfekten, skrupellosen Sinn ergeben.
Aber es war auch falsch. So schrecklich falsch. Das würde Perrin nicht tun, ganz egal, wie sehr er sich verändert hatte. Da konnte sie sich sicher sein.
»Ja«, erwiderte sie. »Galad ein Versprechen geben, die Weißmäntel dann auf diese Weise ermorden, das würde Perrin innerlich zerreißen. So denkt er nicht. Das wird nicht passieren.«
»Ich hoffe, Ihr habt recht«, sagte Berelain. »Ich hatte darauf gehofft, dass man vor unserer Abreise mit ihrem Kommandanten zu einer Übereinkunft kommen könnte …«
Ein Weißmantel. Beim Licht! Hätte sie sich nicht einen der Adligen im Lager aussuchen können, dem sie ihre Aufmerksamkeit schenkte? Einen, der nicht verheiratet war? »Ihr seid wirklich nicht besonders gut darin, Euch einen Mann auszusuchen, oder, Berelain?« Die Worte rutschten ihr einfach heraus.
Berelains Augen weiteten sich, entweder vor Entsetzen oder vor Wut. »Und was ist mit Perrin?«
Faile schnaubte. »Der hätte überhaupt nicht zu Euch gepasst. Das habt Ihr heute Nacht bewiesen. Wozu Ihr ihn für fähig haltet.«
»Es ist irrelevant, wie gut er zu mir gepasst hätte. Ich war ihm versprochen.« »Von wem?«
»Dem Lord Drachen«, sagte Berelain. »Wie bitte?«
»Ich ging im Stein von Tear zum Wiedergeborenen Drachen«, sagte sie. »Aber er wollte mich nicht – meine Avancen erregten sogar seine Wut. Ich erkannte, dass der Wiedergeborene Drache eine sehr viel höherstehende Lady heiraten wollte, möglicherweise Elayne Trakand. Das macht Sinn – er kann nicht jedes Reich mit dem Schwert erobern, einige wird er mit Allianzen erringen müssen. Andor ist sehr mächtig, wird von einer Frau beherrscht, und es wäre von Vorteil, es durch eine Ehe zu beherrschen.«
»Perrin sagt, dass Rand nicht auf diese Weise denkt, Berelain«, sagte Faile. »So berechnend ist er nicht. Und nach dem zu urteilen, was ich von ihm weiß, teile ich diesen Eindruck.«
»Und das Gleiche sagt Ihr über Perrin. Ihr wollt mir weismachen, dass sie alle so schlicht gestrickt sind. Ohne einen Funken Verstand im Kopf.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Und doch bedient Ihr Euch der gleichen alten Gegenargumente. Wie ermüdend. Nun, ich erkannte, was der Lord Drache da andeutete, also wandte ich meine Aufmerksamkeit einem seiner engsten Vertrauten zu. Vielleicht hat er ihn mir nicht ›versprochen‹. Das war eine schlechte Wortwahl. Aber ich wusste, dass es ihn erfreuen würde, wenn ich mit einem seiner engsten Verbündeten und Freund den Ehebund einginge. Ich vermute, dass er das von mir erwartete – schließlich hat der Lord Drache mich zusammen mit Perrin auf diese Mission geschickt. Aber er konnte seinen Wunsch nicht offen zum Ausdruck bringen, damit er Perrin nicht beleidigte.«
Faile zögerte. Einerseits redete Berelain da völligen Unsinn … andererseits konnte sie verstehen, was die Frau da möglicherweise gesehen hatte. Oder hatte sehen wollen. Für sie lag nichts Unmoralisches darin, einen Mann und seine Frau auseinanderzubringen. Das war nur Politik. Und logisch gesehen hätte Rand vermutlich versuchen sollen, Nationen durch den Ehebund von jenen, die ihm am nächsten standen, an sich zu binden.
Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass weder sie noch Perrin Herzensangelegenheiten auf diese Weise betrachteten.
»Ich musste Perrin aufgeben«, fuhr Berelain fort. »Ich hielt mich an mein Versprechen. Aber das hat mich in eine schwierige Situation gebracht. Ich war lange der Ansicht, dass eine Verbindung zu dem Wiedergeborenen Drachen Mayenes einzige Hoffnung darstellt, in den kommenden Jahren seine Unabhängigkeit zu bewahren.«
»Bei einer Ehe geht es doch nicht nur darum, politische Vorteile in Anspruch zu nehmen.«
»Und doch sind die Vorteile so offensichtlich, dass man sie nicht ignorieren kann.« »Und dieser Weißmantel?«
»Ist der Halbbruder der Königin von Andor«, sagte Berelain und errötete etwas. »Falls der Lord Drache Elayne Trakand heiraten will, stehe ich auf diese Weise mit ihm in Verbindung. «
Da steckte mehr dahinter, das konnte Faile an der Art und Weise sehen, wie sich Berelain benahm, wie sich ihr Blick veränderte, wenn sie von Galad Damodred sprach. Aber wenn sie es als politische Motivation betrachten wollte, dann hatte Faile keinen Grund, ihr das auszureden, vor allem nicht, wenn es dabei half, sie von Perrin abzulenken.
»Ich habe getan, worum Ihr mich gebeten habt«, sagte Berelain. »Also bitte ich jetzt Euch um Hilfe. Sollte es den Anschein haben, dass er sie tatsächlich angreift, dann helft mir bitte bei dem Versuch, ihn davon abzubringen.«
»Also gut«, sagte Faile.
Perrin ritt an der Spitze eines Heeres, das sich zum ersten Mal wie eine Einheit anfühlte. Die Flagge von Mayene, die Flagge von Ghealdan, die Banner der Adelshäuser unter den Flüchtlingen. Sogar ein paar Banner, die die Jungs gemacht hatten und die verschiedenen Gegenden der Zwei Flüsse repräsentieren sollten. Über ihnen allen wehte der Wolfskopf.
Lord Perrin. Daran würde er sich nie gewöhnen, aber vielleicht war das ja ganz gut so.
Er lenkte Traber neben das offene Wegetor, während die Truppen vorbeimarschierten und salutierten. Im Augenblick spendeten ihnen Fackeln Licht. Hoffentlich würden die Machtlenker später das Schlachtfeld beleuchten können.
Ein Mann näherte sich Traber, und Perrin roch Tierfelle, krumige Erde und Hasenblut. Elyas war auf die Jagd gegangen, während er darauf gewartet hatte, dass sich das Heer sammelte. Man musste schon ein aufmerksamer Jäger sein, um nachts Hasen zu fangen. Elyas behauptete, dass es eine bessere Herausforderung darstellte.
»Du hast mir einmal etwas gesagt, Elyas«, sagte Perrin. »Du hast mir gesagt, dass, sollte ich die Axt jemals mögen, ich sie wegwerfen sollte.«
»Das habe ich.«
»Ich glaube, das gilt auch für die Führung. Anscheinend sollen die Männer, die keine Titel haben wollen, diejenigen sein, die sie bekommen. Solange ich das nicht vergesse, sollte ich das eigentlich ganz gut hinbekommen.«
Elyas kicherte. »Das Banner sieht dort oben ganz gut aus.«
»Es passt zu mir. Tat es immer. Bloß dass ich nicht immer dazu passte.«
»Das ist aber sehr tiefsinnig für einen Schmied.«
»Vielleicht.« Perrin zog das schmiedeeiserne Geduldsspiel aus der Tasche, das aus Maiden. Es war ihm noch immer nicht gelungen, es in seine Einzelteile zu zerlegen. »Ist es dir je seltsam vorgekommen, dass Schmiede so einfache Leute zu sein scheinen, aber ausgerechnet sie diese verfluchten Rätselspiele herstellen, die so schwierig zu lösen sind?«
»So habe ich das noch nie betrachtet. Also bist du endlich einer von uns?«
»Nein.« Perrin steckte das Rätselspiel weg. »Ich bin, wer ich bin. Endlich.« Er war sich nicht sicher, was sich in ihm verändert hatte. Aber vielleicht hatte das Problem ja nur darin bestanden, sich viel zu viele Gedanken darüber zu machen.
Er wusste, dass er sein Gleichgewicht gefunden hatte. Er würde nie wie Noam werden, der Mann, der sich im Wolf verloren hatte. Und das reichte.
Perrin und Elyas sahen zu, wie das Heer vorbeizog. Diese größeren Wegetore machten das Reisen so viel einfacher; sie würden sämtliche Kämpfer, Männer und Frauen, in weniger als einer Stunde auf der anderen Seite haben. Männer hoben die Hände Perrin entgegen und rochen nach Stolz. Seine Verbindung zu den Wölfen machte ihnen keine Angst; tatsächlich erschienen sie jetzt, wo sie die Einzelheiten kannten, bedeutend weniger besorgt. Zuvor hatte es viele Spekulationen gegeben. Fragen. Jetzt konnten sie sich in Ruhe an die Wahrheit gewöhnen. Und stolz darauf sein. Ihr Herr war kein gewöhnlicher Mann. Er war etwas Besonderes.
»Ich muss gehen, Perrin«, sagte Elyas. »Heute Nacht, wenn das geht.«
»Ich weiß. Die Letzte Jagd hat begonnen. Geh mit ihnen, Elyas. Wir treffen uns im Norden wieder.«
Der alternde Behüter legte Perrin die Hand auf die Schulter. »Falls wir uns dort nicht sehen, dann treffen wir uns vielleicht im Traum, mein Freund.«
Perrin lächelte. »Das hier ist der Traum. Und wir werden uns wiedersehen. Ich finde dich, wenn du bei den Wölfen bist. Gute Jagd, Langzahn.«
»Gute Jagd, Junger Bulle.«
Elyas verschwand beinahe lautlos in der Dunkelheit.
Perrin griff nach dem warmen Hammer an seiner Seite. Er war immer davon ausgegangen, dass die Verantwortung nur eine weitere Last für ihn darstellen würde. Aber nachdem er sie nun akzeptiert hatte, war ihm viel leichter zumute.
Perrin Aybara war bloß ein Mann, aber Perrin Goldauge war ein Symbol, erschaffen von den Menschen, die ihm folgten. Daran konnte er nichts ändern; er konnte nur so gut führen, wie ihm das möglich war. Tat er das nicht, würde das Symbol nicht verschwinden. Die Leute würden nur einfach den Glauben daran verlieren. So wie der arme Aram.
Es tut mir leid, mein Freund, dachte er. Dich habe ich von allen am meisten enttäuscht. Aber es war sinnlos, den Blick auf diese Weise in die Vergangenheit zu richten. Er würde einfach nach vorn sehen müssen und es besser machen. »Ich bin Perrin Goldauge«, sagte er. »Der Mann, der mit den Wölfen sprechen kann. Und ich schätze, es ist gut, dieser Mann zu sein.«
Er stieß Traber die Fersen in die Seiten und ritt durch das Wegetor. Leider musste Perrin Goldauge heute Nacht noch töten.
Galad erwachte sofort, als sein Zelteingang raschelte. Er vertrieb die Reste seines Traums – irgendeinen Unsinn, wie er mit einer dunkelhaarigen Schönheit mit perfekten Lippen und berechnenden Augen speiste – und griff nach dem Schwert.
»Galad!«, zischte eine Stimme. Es war Trom. »Was ist?«, fragte Galad, die Hand noch immer am Schwertgriff.
»Ihr hattet recht«, sagte Trom. »Womit?«
»Aybaras Heer ist wieder da. Galad, sie sind direkt über uns auf den Höhen! Wir haben sie nur zufällig entdeckt; unsere Männer beobachteten die Straße, genau wie Ihr befohlen habt.«
Galad fluchte, setzte sich auf und griff nach seinem Unterzeug. »Wie sind sie da raufgekommen, ohne dass wir es bemerkt haben?«
»Finstere Kräfte, Galad. Byar hatte recht. Ihr habt gesehen, wie schnell sie ihr Läger abgebrochen haben.«
Ihre Späher waren vor einer Stunde zurückgekehrt. Sie hatten Aybaras Lagerplatz unheimlicherweise völlig leer vorgefunden; als wäre er von Geistern bevölkert gewesen. Niemand hatte sie auf der Straße abrücken gesehen.
Und jetzt das. Galad zog sich schnell an. »Weckt die Männer. Seht, ob Ihr das leise könnt. Es war klug von Euch, kein Licht mitzubringen; das hätte den Feind alarmieren können. Die Männer sollen ihre Rüstungen in ihren Zelten anlegen.«
»Ja, mein Kommandierender Lordhauptmann«, sagte Trom. Ein Rascheln begleitete seinen Rückzug.
Galad beeilte sich mit dem Anziehen. Was habe ich getan? Auf jedem Schritt seines Weges hatte er Zuversicht in seine Entscheidungen gehabt, und doch hatte sie ihn an diesen Punkt geführt. Aybara, der sich auf seinen Angriff vorbereitete, seine Männer, die schliefen. Seit Morgases Rückkehr hatte er das Gefühl gehabt, dass seine Welt um ihn herum zerbröckelte. Ihm war nicht länger klar, was richtig war, nicht so wie früher. Der vor ihm liegende Weg schien im Nebel zu liegen.
Wir sollten uns ergeben, dachte er und schnallte seinen Umhang über seiner Rüstung fest. Aber nein. Die Kinder des Lichts ergeben sich niemals den Schattenfreunden. Wie konnte ich nur auf diesen Gedanken kommen?
Sie mussten kämpfend sterben. Aber was würde das erreichen? Das Ende der Kinder, tot vor dem Beginn der Letzten Schlacht?
Wieder raschelte die Zeltplane, und er hielt das Schwert in der Hand, zum Zuschlagen bereit.
»Galad«, zischte Byar. »Ihr habt uns getötet.« In seiner Stimme lag nicht mehr der geringste Respekt.
Die Anschuldigung machte Galad wütend. »Die im Licht wandeln, müssen keine Verantwortung für die Taten jener übernehmen, die dem Schatten folgen.« Ein Zitat von Lothair Mantelar. »Ich habe mich ehrenhaft verhalten.«
»Ihr hättet angreifen sollen, statt dieses lächerliche Gerichtsverfahren abzuhalten.«
»Man hätte uns abgeschlachtet. Er hatte Aes Sedai, Aiel, Männer, die die Macht lenken können, mehr Soldaten wie wir und Kräfte, die wir nicht verstehen.«
»Das Licht hätte uns beschützt!«
»Wenn das stimmt, dann wird es uns auch jetzt beschützen«, sagte Galad und fühlte seine Zuversicht zurückkehren.
»Nein.« Byars Stimme war ein wütendes Flüstern. »Wir haben uns selbst in diese Lage gebracht. Fallen wir, dann haben wir es verdient.« Er stürmte hinaus.
Galad stand einen Augenblick lang da, dann schnallte er sich das Schwert um. Schuldzuweisungen und Buße konnten warten. Er musste eine Möglichkeit finden, diesen Tag zu überleben. Falls es diese Möglichkeit gab.
Begegne ihrem Hinterhalt, indem du auf ihre Mittel zurückgreifst, dachte er. Lass die Männer bis zum Beginn des Angriffs in ihren Zelten bleiben, dann überraschst du Aybara, indem du hinausstürmst und…
Nein. Aybara würde mit einem Pfeilhagel anfangen und Tod auf die Zelte herabregnen lassen. Die beste Möglichkeit für ihn lag darin, sich seine erhöhte Position und seine Langbogenmänner zunutze zu machen.
Am besten legten die Männer ihre Rüstungen an und rannten nach einem Signal zu ihren Pferden. Die Amadicianer konnten am Fuß der Höhen mit ihren Piken einen Wall bilden. Möglicherweise riskierte Aybara es ja, seine Kavallerie den steilen Hang hinunterzutreiben, aber Pikenmänner konnten dieses Manöver empfindlich stören.
Die Bogenschützen würde trotzdem ein Problem darstellen. Schilde würden helfen. Jedenfalls etwas. Er holte tief Luft, dann trat er in die Nacht hinaus, um Befehle zu geben.
»Sobald die Schlacht beginnt«, sagte Perrin, »will ich, dass Ihr drei Euch in Sicherheit bringt. Ich versuche erst gar nicht, Euch nach Andor zu schicken; ich weiß, dass Ihr das nicht tun würdet. Bleibt hinter den Schlachtlinien bei der Nachhut.«
Faile sah ihn an. Er saß auf seinem Pferd, den Blick nach vorn gerichtet. Sie befanden sich oben auf den Höhen, wo gerade der Rest seines Heeres aus den Wegetoren kam. Jori Congar hielt eine abgeschirmte Laterne hoch. Sie versorgte die unmittelbarer Nähe mit einem schwachen Lichtschein.
»Natürlich, mein Lord«, sagte Berelain ohne zu zögern.
»Dann schwört es mir«, sagte Perrin, den Blick noch immer nach vorn gerichtet. »Ihr und Alliandre, Berelain. Faile werde ich einfach fragen und hoffen.«
»Ich schwöre es, mein Lord«, sagte Alliandre.
Perrins Stimme war so energisch, und das bereitete Faile Sorgen. Konnte Berelain recht haben? Würde er die Weißmäntel angreifen? Trotz ihrer ständigen Beteuerungen, in der Letzten Schlacht kämpfen zu wollen, stellten sie ein unberechenbares Element dar. Sie konnten mehr schaden als nutzen. Darüber hinaus war Alliandre Perrins Lehnsfrau, und die Weißmäntel hielten sich in ihrem Reich auf. Wer vermochte schon zu sagen, welchen Schaden sie vor ihrem Abzug anrichteten? Und dann war da noch Galads zukünftiges Urteil, das wie ein Schwert über ihnen hing.
»Mein Lord«, sagte Berelain besorgt. »Bitte tut das nicht.«
»Ich tue nur, was ich muss«, erwiderte Perrin und schaute zur Straße nach Jehannah. Das war nicht die Richtung der Weißmäntel. Sie befanden sich direkt südlich von Perrins Position.
»Perrin«, sagte Faile und warf Berelain einen Blick zu. »Was hast du…«
Ein Mann kam aus den Schatten; trotz des trockenen Unterholzes bewegte er sich lautlos. »Perrin Aybara«, sagte Gaul. »Die Weißmäntel wissen, dass wir hier sind.«
»Bist du sicher?«, erkundigte sich Perrin. Es schien ihn nicht zu alarmieren.
»Sie versuchen, uns das nicht wissen zu lassen«, sagte Gaul, »aber ich kann es sehen. Die Töchter stimmen mir zu. Sie bereiten sich auf den Kampf vor, die Pferdeknechte befreien die Pferde von ihren nächtlichen Stricken, Wächter bewegen sich von Zelt zu Zelt.«
Perrin nickte. Er trieb Traber vorwärts durch das Unterholz und ritt bis an den Rand des Hügels. Faile folgte ihm auf Tageslicht, Berelain dicht hinter sich.
Das Land fiel steil zu dem uralten Flussbett ab, das die unten verlaufende Straße flankierte. Die Straße kam aus Richtung Jehannah, bis sie den Fuß dieser Anhöhe passierte und dann nach Lugard abbog. Direkt an der Biegung befand sich die von dem Hügel geschützte Senke, in der die Weißmäntel ihre Zeltkreise aufgebaut hatten.
Die Wolkendecke war brüchig und ließ blasses Mondlicht hindurch, das das Land in silberweißes Licht tauchte. Dichter Bodennebel wogte heran und blieb hauptsächlich in dem Flussbett. Perrin musterte das Terrain; er hatte in beide Richtungen klare Sicht auf die Straße. Plötzlich ertönten unten Rufe, Weißmäntel eilten aus den Zelten und rannten zu den Pferdeseilen. Fackeln flammten auf.
»Bogenschützen nach vorn!«, brüllte Perrin.
Die Männer von den Zwei Flüssen eilten zum Rand ihrer erhöhten Positionen.
»Infanterie, hinter den Bogenschützen bereithalten!«, rief Perrin. »Arganda, zur linken Flanke. Gallenne, zur rechten! Ich gebe Bescheid, wenn Ihr für uns ausfegen müsst.« Er wandte sich an die Fußsoldaten – in der Hauptsache ehemalige Flüchtlinge. »In dichter Formation bleiben, Jungs. Haltet die Schilde oben und die Speerarme gebeugt. Bogenschützen, Pfeile einspannen!«
Faile fühlte, wie ihr der Schweiß aus den Poren trat. Das war falsch. Sicherlich würde Perrin doch nicht…
Er schaute noch immer nicht zu den Weißmänteln unter ihnen. Er starrte auf das Flussbett auf der anderen Seite, das ungefähr dreihundert Fuß von den Hügeln entfernt war und eine steile Kante aufwies, da sich der einstige Fluss tief in den Boden gegraben hatte. Perrin sah aus, als würde er etwa sehen können, das dem Rest von ihnen verborgen blieb. Und bei seinen goldenen Augen war das durchaus möglich.
»Mein Lord«, sagte Berelain und lenkte ihr Pferd an seine Seite. Sie hörte sich verzweifelt an. »Wenn Ihr angreifen müsst, könntet Ihr den Kommandanten der Weißmäntel verschonen? Er könnte aus politischen Gründen sehr nützlich sein.«
»Wovon redet Ihr eigentlich?«, wollte Perrin wissen. »Ich bin doch bloß hier, um Damodred am Leben zu erhalten.« »Ihr … was?«, fragte Berelain.
»Mein Lord!«, rief Grady, der in der Nähe auf einem Pferd saß, aufgeregt. »Ich spüre, wie die Macht gelenkt wird!«
»Was ist das da?«, rief Jori Congar und zeigte mit dem Finger. »Da ist etwas im Nebel. Es ist…«
Faile kniff die Augen zusammen. Da, direkt unterhalb des Heeres schienen Gestalten aus dem Boden des uralten Flussbettes zu wachsen. Missgestaltete Kreaturen mit Tierköpfen und Tierkörpern, noch die Hälfte größer als Perrin, mit primitiven Waffen. Zwischen ihnen bewegten sich anmutige augenlose Gestalten in Schwarz.
Nebelschwaden hüllten sie ein, während sie sich näherten. Immer mehr Kreaturen erschienen. Dutzende. Hunderte. Tausende.
Ein ganzes Heer aus Trollocs und Myrddraals.
»Grady, Neald!«, brüllte Perrin. »Licht!«
Grelle Lichtkugeln erschienen in der Luft und blieben dort hängen. Immer mehr Trollocs stiegen aus dem Nebel, als würde er sie erschaffen, aber die Lichter schienen sie zu verwirren. Sie schauten auf und beschatteten die Augen.
Perrin grunzte. »Sieh mal einer an. Auf uns waren sie nicht vorbereitet; sie dachten, sie hätten mit den Weißmänteln leichtes Spiel.« Er drehte sich um und ließ den Blick über die Reihen aus überraschten Soldaten schweifen. »Nun, Männer, Ihr wolltet mir in die Letzte Schlacht folgen? Hier erhalten wir einen kleinen Vorgeschmack! Bogenschützen, schießt! Schicken wir das Schattengezücht zurück in den Pfuhl, der es in die Welt gesetzt hat!«
Er hob seinen neu geschmiedeten Hammer, und die Schlacht begann.