Ein lautes Krachen erschütterte die Gänge und ließ das ganze Gebäude erbeben. Mat stolperte und lehnte sich haltsuchend gegen eine Wand, während aus der Öffnung hinter ihm Rauch und Steinsplitter sprühten.
Er schob den Kopf vor und schaute den Korridor entlang, während Thom und Noal weiterliefen. Thom hielt Moiraine. Noal hatte seine Fackel weggeworfen und eine Trommel hervorgeholt, um die Aelfinn zu beruhigen. Das hatte nichts gebracht, also hatte Mat nach den explodierenden Zylindern und Nachtblumen gegriffen.
Beim Licht, diese Zylinder waren tödlich! Im Korridor verstreut lagen Aelfinn-Leichen, ihre glänzende Haut war zerrissen, bösartig aussehender Qualm dampfte von ihrem Blut. Sie gingen auf zwei Beinen, schienen dabei aber zu kriechen, schwankten hin und her durch den Gang, während ihr Zischen zusehends wütender wurde.
Mit klopfendem Herzen rannte Mat hinter Thom und Noal her. »Folgen sie uns noch immer?«, rief Noal.
»Was glaubt Ihr denn?«, erwiderte Mat, als er die anderen einholte. »Beim Licht, diese Schlangen sind verdammt schnelll«
Sie platzten in einen weiteren Raum, der mit allen anderen identisch war. Quadratische Wände, die irgendwie nicht richtig quadratisch waren, in den Ecken aufsteigender Dampf, schwarze Bodenfliesen in Dreiecksform. In der Mitte kein dreieckiges Tor, durch das sie hinauskamen. Blut und verdammte Asche.
Mat kontrollierte die anderen drei Durchgänge und hielt den Ashandarei in den verschwitzten Händen. Sie konnten nicht denselben Trick wie zuvor benutzen, zwischen den gleichen zwei Räumen hin und her zu laufen. Nicht, wo die Aelfinn hinter ihnen her waren. Er musste sein Glück heraufbeschwören. Er wollte sich drehen und …
»Wir müssen in Bewegung bleiben!«, rief Noal. Er war an der Tür stehen geblieben und tänzelte nervös von einem Fuß auf den anderen. »Mat! Wenn uns diese Schlangen erwischen …«
Mat konnte sie hören, wie sie hinter ihnen zischten. Wie das Rauschen eines Flusses. Er wählte eine beliebige Richtung und lief los.
»Wirf noch einen Zylinder!«, sagte Thom.
»Das war der Letzte«, erwiderte Mat. »Und wir haben bloß drei Nachtblumen.« Sein Bündel fühlte sich leicht an.
»Musik funktioniert nicht bei ihnen«, sagte Noal und warf seine Trommel weg. »Sie sind zu wütend.«
Mat fluchte und entzündete eine Nachtblume mit einem Zündholz, dann warf er sie über die Schulter. Die drei Männer hasteten in den nächsten Raum und verließen ihn sofort durch den Durchgang auf der anderen Seite.
»Ich weiß nicht, in welche Richtung wir gehen sollen, mein Junge«, sagte Thom. Er klang so atemlos! »Wir haben uns verirrt.«
»Ich habe die Wege nach dem Zufallsprinzip ausgesucht!«, erwiderte Mat.
»Aber du kannst nicht zurückgehen«, sagte Thom. »Das ist vermutlich die Richtung, in die uns das Glück führen würde!«
Die Nachtblume explodierte, und ihr Donnern hallte durch die Korridore. Es war bei weitem nicht so laut wie der Zylinder. Mat riskierte einen Blick über die Schulter und sah Rauch und Funken in den Tunnel fliegen. Das Feuer enthüllte die Aelfinn, aber schon bald schoben sich die mutigeren Angehörigen der Gruppe durch den Rauch.
»Vielleicht können wir ja verhandeln«, keuchte Thom.
»Sie sehen zu zornig aus«, meinte Noal.
»Mat«, sagte Thom, »du hast doch erwähnt, dass sie über dein Auge Bescheid wussten. Sie haben eine Frage darüber beantwortet. «
»Sie haben mir gesagt, dass ich verdammt noch mal die Hälfte des Lichts der Welt aufgeben müsste«, erwiderte Mat, dessen Schädel noch immer dröhnte. »Ich wollte es gar nicht wissen, aber sie sagten es mir trotzdem.«
»Was sagten sie sonst noch?«, verlangte Thom zu wissen. »Könnte ein Hinweis dabei sein? Wie bist du das letzte Mal hier rausgekommen?«
» Sie warfen mich hinaus.«
Sie kamen zum nächsten Raum – kein Dreieckstor -, dann liefen sie in den linken Durchgang. Vermutlich stimmte, was Thom zuvor gesagt hatte. Vermutlich mussten sie wieder in die entgegengesetzte Richtung. Aber das konnten sie nicht, wenn ihnen das Schlangennest so dicht auf den Fersen war!
» Sie warfen mich durch den Türrahmen im Aelfinn-Reich «, sagte Mat, dem langsam die Luft ausging. »Er führte in den Keller vom Stein von Tear.«
»Vielleicht können wir ja den finden!«, sagte Thom. »Dein Glück, Mat. Es soll uns ins Reich der Aelfinn bringen.«
Das konnte funktionieren. »Also gut«, sagte er, schloss das Auge und drehte sich.
Er zeigte in eine Richtung und öffnete das Auge. Er zeigte direkt auf den Gang mit den Aelfinn, die ihnen entgegenschlängelten.
»Verdammte Asche!«, fluchte er, wandte sich ab und lief vor ihnen weg, wählte blindlings einen anderen Korridor.
Thom schloss sich ihm an, aber er sah erschöpft aus. Mat hätte ihm Moiraine eine Weile abnehmen können, aber Thom würde so müde sein, dass er nicht kämpfen konnte. Die Aelfinn würden sie hetzen, bis sie nicht mehr konnten, genau wie sie es vor Jahrhunderten bei Birgitte getan hatten.
Im nächsten Raum blieb Thom stolpernd stehen und krümmte sich zusammen, obwohl er Moiraine noch immer hielt. Wie alle Gemächer hatte auch dieses vier Türdurchgänge. Aber der einzige Weg, der funktioniert hätte, führte direkt zu den Aelfinn. Der Weg, den sie nicht nehmen konnten.
»Dieses Spiel ist nicht zu gewinnen«, sagte Thom keuchend. »Selbst wenn wir betrügen, das ist nicht zu gewinnen. «
»Thom …«, sagte Mat drängend. Er reichte dem Gaukler den Ashandarei, dann nahm er Moiraine. Sie war so leicht. Was gut war, da Thom sonst niemals so lange hätte durchhalten können, wie er es getan hatte.
Noal sah sie an, dann schaute er zurück in den Korridor. Die Aelfinn würden gleich da sein. Noal erwiderte Mats Blick. »Gebt mir Euer Bündel. Ich brauche diese Nachtblumen.«
»Aber…«
»Keine Widerrede!«, sagte Noal. Er eilte herbei und schnappte sich eine Nachtblume. Sie hatte eine sehr kurze Zündschnur. Er zündete sie an und warf sie in den Korridor. Die Aelfinn waren nahe genug, dass Mat sie brüllen und zischen hören konnte, als sie den Funken erblickten.
Es donnerte, Funken flogen aus dem Gang und erhellten den dunklen Raum. Dampfsäulen tänzelten ruckartig vor den Flammen zurück. Die Luft roch stark nach Rauch und Schwefel. Beim Licht, seine Augenhöhle pochte wieder.
»Jetzt, Mat«, sagte Noal. Mats Ohren dröhnten noch immer von dem Knall. »Das Bündel.«
»Was habt Ihr vor?«, fragte Mat misstrauisch, als Noal die letzte Nachtblume herausfischte.
»Ihr seht es doch, Mat«, sagte Noal. »Wir brauchen mehr Zeit. Ihr müsst einen ordentlichen Vorsprung vor diesen Nattern bekommen, damit Ihr ein paarmal den Weg zurücklaufen könnt, Euch von Eurem Glück hier herausholen lasst.«
Noal wies auf einen der Gänge. »Diese Korridore sind schmal. Gute Abwehrstellungen. Ein Mann könnte hier stehen und nur gegen einen oder zwei kämpfen müssen. Er würde vielleicht ein paar Minuten durchhalten.«
» Noal!«, sagte Thom keuchend, die Hände auf die Knie gestützt, in der Nähe von Mats Ashandarei, der an der Wand lehnte. »Das könnt Ihr nicht tun!«
»Doch, das kann ich«, sagte Noal. Er trat an den Korridor heran, in dem sich die Aelfinn sammelten. »Thom, Ihr seid nicht in der Verfassung, um kämpfen zu können. Mat, Ihr seid derjenige, dessen Glück den Weg hier heraus finden kann. Keiner von Euch kann bleiben. Aber ich schon.«
»Es wird keiner für Euch zurückkommen können«, sagte Mat grimmig. » Sobald wir wieder zurücklaufen, wird uns dieser verdammte Ort anderswo hinbringen.«
Noal erwiderte seinen Blick, Entschlossenheit auf dem faltigen Gesicht. »Ich weiß. Ein Preis, Mat. Wir wussten, dass dieser Ort einen Preis verlangt. Nun, ich habe viel gesehen, viel getan. Man hat mich einmal zu viel benutzt, Mat. Dieser Ort ist genauso gut wie jeder andere, um sich seinem Ende zu stellen.«
Mat hob Moiraine auf, dann nickte er Noal respektvoll zu. » Komm mit, Thom.« »Aber…«
»Komm!«, bellte Mat und rannte zu einem anderen Durchgang. Thom zögerte, dann fluchte er und schloss sich ihm an, in der einen Hand Mats Fackel, in der anderen den Ashandarei. Noal trat in den Korridor hinter ihnen und hob das Kurzschwert. Im Qualm bewegten sich schattenhafte Gestalten.
»Mat«, rief Noal und warf einen Blick über die Schulter.
Mat trieb Thom an, zögerte aber und schaute zurück.
»Solltest du je einen Malkieri treffen«, sagte Noal, »dann sag ihm, dass Jain Fernstreicher auf anständige Weise starb.«
»Das werde ich, Jain«, sagte Mat. »Möge das Licht dich aufnehmen.«
Noal drehte sich um, um sich den Aelfinn entgegenzustellen, und Mat verließ ihn. Donnernd explodierte eine Nachtblume. Dann hörte Mat Noals Stimme durch den Korridor hallen, als er einen Schlachtruf ausstieß. Er war in keiner ihm bekannten Sprache.
Er und Thom kamen zum nächsten Gemach. Thom weinte, aber Mat unterdrückte seine Tränen. Noal würde ehrenvoll sterben. Einst hätte er solche Gedanken für albern gehalten – was hatte man schon von Ehre, wenn man tot war? Aber er verfügte über zu viele Erinnerungen von Soldaten und hatte zu viel Zeit mit Männern verbracht, die für diese Ehre gekämpft und geblutet hatten, um solche Vorstellungen noch anzuzweifeln.
Er schloss das Auge und drehte sich, und Moiraines Gewicht brachte ihn um ein Haar aus der Balance. Er wählte eine Richtung und zeigte genau auf den Weg, den sie gekommen waren. Er rannte los, gefolgt von Thom.
Als sie das Ende des Korridors erreichten, wartete da nicht der Raum, in dem sie Noal zurückgelassen hatten. Dieses Gemach war rund und voller gelber Säulen in Form gewaltiger, sich umeinander windender Schlingpflanzen, die in der Mitte eine kreisrunde Fläche freiließen. Gewundene Lampenständer hielten weiße Kugeln, die den Raum in weiches Licht tauchten, und der Boden war in einem Muster aus weißen und gelben Streifen gefliest, das spiralenförmig im Zentrum seinen Anfang nahm. Es roch durchdringend nach trockener Schlangenhaut.
Matrim Cauthon, du bist kein Held, dachte er und blickte über die Schulter. Der Mann,.den du zurückgelassen hast, der ist der Held. Möge das Licht dich erleuchten, Noal.
»Und nun?«, fragte Thom. Er schien wieder an Kraft gewonnen zu haben, also überreichte Mat ihm Moiraine und nahm seinen Speer entgegen. Hier gab es nur zwei Durchgänge, der hinter ihnen und der direkt gegenüber. Aber Mat drehte sich trotzdem mit geschlossenem Auge auf der Stelle. Das Glück zeigte auf den Weg auf der gegenüberliegenden Seite.
Sie nahmen ihn. Die Fenster im Korridor schauten auf den Dschungel hinaus, und nun waren sie mitten darin. Gelegentlich konnte Mat die drei Türme sehen. Der Ort, an dem sie eben noch gewesen waren, der Ort, an dem Noal blutete.
»Hier hast du deine Antworten bekommen, richtig?«, fragte Thom.
Mat nickte.
»Glaubst du, ich könnte auch welche bekommen? Drei Fragen. Alle Antworten …«
»Du willst sie nicht«, sagte Mat und richtete den Hut. »Glaube es mir, wirklich nicht. Es sind keine Antworten. Es sind Drohungen. Versprechen. Wir …«
Thom blieb ruckartig stehen. Moiraine regte sich in seinen Armen. Sie stöhnte leise, hatte die Augen aber noch geschlossen. Aber nicht das ließ Mat erstarren.
Voraus wartete ein weiterer kreisrunder gelber Raum. Genau in der Mitte stand ein Türrahmen aus rotem Stein. Oder zumindest, was davon noch übrig war.
Mat fluchte und stürmte darauf zu. Der Boden war übersät mit roten Steintrümmern. Stöhnend ließ Mat den Speer fallen und hob ein paar der Brocken auf. Ein Schlag von ungeheurer Wucht hatte den Türrahmen zerschmettert.
Kurz hinter dem Eingang sank Thom auf die Knie, die sich bewegende Moiraine im Arm. Er sah erschöpft aus. Keiner von ihnen hatte noch ein Bündel; Mat hatte seines Noal gegeben, und Thom hatte seines zurückgelassen. Und dieser Raum war eine Sackgasse ohne weiteren Ausgang.
»Dieser Ort soll verflucht sein!«, brüllte Mat, riss sich den Hut vom Kopf und starrte in die endlose Dunkelheit über ihnen hinauf. »Man sollte Euch alle verbrennen, Schlangen und Füchse! Der Dunkle König soll Euch alle holen! Ihr habt mein Auge, Ihr habt Noal. Das reicht als Preis für Euch! Das ist ein zu hoher Preis! Genügt das Leben von Jain dem verdammten Fernstreicher nicht, um Euch zu beschwichtigen, Ihr Ungeheuer!«
Seine Worte verhallten ohne Erwiderung. Der alte Gaukler kniff die Augen zusammen und hielt Moiraine. Er sah besiegt aus, völlig am Boden zerstört. Seine Hände waren rot und mit Blasen übersät, weil er sie aus dem Nebel gezogen hatte, seine Mantelärmel waren angesengt.
Mat sah sich verzweifelt um. Er versuchte es damit, sich mit geschlossenem Auge zu drehen und den Arm auszustrecken.
Als er das Auge wieder öffnete, zeigte er auf die Mitte des Raumes. Den zerbrochenen Türrahmen.
»Es war ein guter Versuch, mein Junge«, sagte Thom. »Wir haben uns gut geschlagen. Besser als erwartet.«
»Ich gebe nicht auf«, beharrte Mat und versuchte, dem niederschmetternden Gefühl in seinem Inneren zu trotzen. »Wir … wir gehen denselben Weg zurück, finden den Rückweg zu dem Ort zwischen Aelfinn und Eelfinn. Der Vertrag besagt, dass sie das Portal geöffnet lassen müssen. Wir nehmen es und kommen hier raus. Ich will verdammt sein, wenn ich hier sterbe. Du schuldest mir noch immer ein paar Becher. «
Thom öffnete die Augen und lächelte, stand aber nicht auf. Er schüttelte den Kopf, dass sein tief herabhängender Schnurrbart wackelte, und betrachtete Moiraine.
Zitternd schlug sie die Augen auf. »Thom«, flüsterte sie und lächelte. »Ich dachte mir doch, dass ich deine Stimme gehört habe.«
Beim Licht, ihre Stimme führte Mat zurück. In andere Zeiten. Vor Ewigkeiten.
Sie schaute ihn an. »Und Mat. Der liebe Matrim. Ich wusste, dass du kommst, um mich zu holen. Ihr beide. Ich wünschte, ihr hättet es nicht getan, aber ich wusste, dass ihr es tut…«
»Ruh dich aus, Moiraine«, sagte Thom leise. »Wir sind in zwei Lautenschlägen hier raus.«
Mat schaute auf sie herunter, wie sie hilflos dort lag. »Soll man mich doch zu Asche verbrennen, ich werde es nicht so enden lassen!«
»Sie kommen, mein Junge«, sagte Thom. »Ich höre sie.«
Mat wandte den Kopf und blickte zum Türdurchgang. Er konnte sehen, was Thom gehört hatte. Die Aelfinn schlichen durch den Korridor, schlangenhaft und tödlich. Sie lächelten, und vorn in diesem Lächeln schimmerten reißzahnähnliche Eckzähne. Wären diese Reißzähne nicht gewesen, hätten sie Menschen sein können. Und natürlich diese Augen. Diese unnatürlichen geschlitzten Augen. Sie bewegten sich anmutig. Schrecklich, begierig.
»Nein«, flüsterte Mat. »Es muss einen Weg geben.« Denk nach. Mat, du Narr. Es muss einen Ausweg geben. Wie bist du das letzte Mal entkommen? Das hatte Noal gefragt.
Mit verzweifeltem Ausdruck hakte Thom die Laute vom Rücken. Er fing an zu spielen. Mat kannte die Melodie. »Süßes Geflüster von Morgen.« Eine traurige Weise, die man für die gefallenen Toten spielte. Sie war wunderschön.
Erstaunlicherweise schien die Musik die Aelfinn zu beruhigen. Sie wurden langsamer, und die an der Spitze wiegten sich im Takt der Melodie. Sie wussten Bescheid. Thom spielte für sein eigenes Begräbnis.
»Ich weiß nicht, wie ich das letzte Mal hier herausgekommen bin«, flüsterte Mat. »Ich war bewusstlos. Als ich erwachte, hing ich dort. Rand schnitt mich ab.«
Er tastete nach seiner Narbe. Die Antworten der Aelfinn halfen nicht weiter. Er wusste über die Tochter der Neun Monde Bescheid, er wusste, was es mit der Hälfte des Lichts der Welt auf sich hatte. Er wusste über Rhuidean Bescheid. Alles ergab einen Sinn. Keine Lücken. Keine Fragen.
Außer…
Was gaben dir die Eelfinn?
»Wenn es nach mir ginge«, flüsterte Mat und starrte die näher kommenden Aelfinn an, »würden diese Löcher gefüllt.«
Die Aelfinn glitten heran. Sie trugen dieses gelbe Tuch, das ihre Körper einhüllte. Thoms Musik hallte durch die Korridore. Die Kreaturen kamen mit gleichmäßigen, langsamen Schritten näher. Sie wussten, dass sie ihre Beute in die Ecke getrieben hatten.
Die beiden vordersten Aelfinn trugen Schwerter aus funkelnder Bronze, von denen es rot heruntertropfte. Armer Noal.
Thom fing an zu singen. »Oh, wie lange waren doch die Tage des Menschen. Als wir wandelten durch ein zerstörtes Land.«
Mat hörte zu, und Erinnerungen stiegen in ihm auf. Thoms Stimme trug ihn zu längst vergangenen Tagen. Tagen in seiner eigenen Erinnerung, Tagen in den Erinnerungen anderer. Tage, an denen er gestorben war, Tage, an denen er gelebt hatte, Tage, an denen er gekämpft und gesiegt hatte.
»Ich will, dass diese Lücken gefüllt werden …«, flüsterte er zu sich selbst. »Das hatte ich gesagt. Die Eelfinn taten es und gaben mir Erinnerungen, die nicht mir gehörten.«
Moiraine hatte wieder die Augen geschlossen, aber sie lächelte, als sie Thoms Spiel lauschte. Mat hatte gedacht, er würde für die Aelfinn spielen, aber jetzt fragte er sich, ob er nicht doch für Moiraine spielte. Ein letztes wehmütiges Lied für eine gescheiterte Rettungsmission.
»Er segelte so weit, wie ein Mann steuern konnte«, sang Thom mit sonorer, wunderschöner Stimme.» Und er wünschte sich nie, seine Furcht zu verlieren.«
»Ich will, dass diese Lücken gefüllt werden«, wiederholte Mat, »also gaben sie mir Erinnerungen. Das war ihre erste Gabe.«
»Denn eines Menschen Furcht ist niemals enthüllt. Sie verschafft ihm Sicherheit und gibt ihm Mut!«
»Ich bat um etwas anderes, ohne es zu wissen«, fuhr Mat fort. »Ich sagte, ich will von den Aes Sedai und der Macht befreit sein. Dafür gaben sie mir das Medaillon. Ein weiteres Geschenk.«
»Lasst euch von der Furcht nicht von euren Bemühungen abhalten, denn diese Furcht beweist, dass ihr lebt!«
»Und … und ich bat sie um noch etwas. Ich sagte, ich will von ihnen weg und zurück nach Rhuidean. Die Eelfinn gaben mir alles. Die Erinnerungen, um die Lücken zu füllen. Das Medaillon, damit mich die Macht nicht berühren kann …«
Und was noch? Sie hatten ihn nach Rhuidean zurückgeschickt, um dort zu hängen. Aber das Hängen war ein Preis gewesen, keine Antwort auf seine Forderungen.
»Ich gehe diese zerstörte Straße«, sang Thom, und seine Stimme wurde lauter, »und ich trage eine schwere Last!«
»Sie gaben mir noch etwas anderes«, flüsterte Mat und schaute auf den Ashandarei in seinen Händen, als die Aelfinn anfingen lauter zu zischen.
Somit ist unser Vertrag festgelegt und die Vereinbarung geschlossen.
Eingraviert in die Waffe. Zwei Raben auf der Klinge und die Inschrift in der Alten Sprache auf dem Schaft.
Der Gedanke ist der Pfeil der Zeit; die Erinnerung verblasst niemals.
Warum hatten sie ihm den Speer gegeben? Diese Frage hatte er sich nie gestellt. Dabei hatte er doch gar nicht um eine Waffe gebeten.
Was verlangt worden war, wurde gegeben. Der Preis ist bezahlt.
Nein. Ich bat um keine Waffe. Ich bat um einen Ausgang. Und sie gaben mir das.
»So kommt her mit euren abscheulichen Lügen«, brüllte Thom die letzten Zeilen des Liedes heraus. »Ich bin ein Mann der Wahrheit, und ich erwidere euren Blick!«
Mat riss den Ashandarei herum und rammte ihn in die Wand. Die Spitze versank im Nicht-Stein. Licht quoll aus dem Schnitt, platzte hervor wie Blut aus einer aufgeschlitzten Ader. Mat schrie auf und wuchtete den Speer noch tiefer hinein. Grelle Lichtstrahlen schossen aus der Wand hervor.
Den Ashandarei schräg nach unten ziehend, machte er einen langen Einschnitt. Er zog die Waffe zur anderen Seite, schnitt ein großes, umgedrehtes Dreieck aus Licht hinein. Das Licht schien zu pulsieren, als es ihn überflutete. Die Aelfinn hatten den Raum betreten, aber sie zischten und wichen vor der mächtigen Helligkeit zurück.
Mat vollendete die Zeichnung mit einer Wellenlinie in der Mitte des Dreiecks. Das Licht war so grell, dass er kaum etwas wahrnehmen konnte. Das Stück in der Wand fiel heraus und enthüllte einen glühenden weißen Weg, der aus Stahl ausgeschnitten zu sein schien.
»Soll man mich doch …«, flüsterte Thom und stand auf.
Die Aelfinn stießen schrille Wutschreie aus. Sie kamen in den Raum, die Arme schützend vor die Augen gehalten, die bösartigen Schwerter in der anderen Hand bereit.
»Schaff sie hier raus!«, brüllte Mat und fuhr herum, um sich den Kreaturen entgegenzustellen. Er hob den Ashandarei und hieb dem ersten Aelfinn das Schaftende ins Gesicht. »Geht!«
Thom packte Moiraine, sah Mat hektisch an.
»Geht!«, wiederholte Mat und zerschmetterte den Arm eines anderen Aelfinn.
Thom sprang in die Öffnung und verschwand. Mat lächelte und wirbelte mit seinem Ashandarei zwischen den Aelfinn umher, schlug nach Beinen, Armen, Köpfen. Es waren eine Menge, aber das Licht schien sie benommen zu machen, während sie hektisch versuchten, ihn zu erwischen. Als er die ersten von den Beinen holte, stolperten die anderen. Die Kreaturen wurden zu einer sich windenden Masse schlangenhafter Arme und Beine, die vor Wut zischten und spuckten; einige ganz hinten versuchten über die anderen zu kriechen, um ihn zu erreichen.
Mat trat zurück und tippte sich an den Hut. » Sieht so aus, als könnte man das Spiel doch gewinnen«, sagte er. »Sagt den Füchsen, dass ich mit dem Schlüssel, den sie mir gaben, sehr zufrieden bin. Außerdem könnt ihr alle in einer brennenden Grube aus Feuer und Asche verfaulen, ihr ungewaschenen Drecksklumpen an einem Schweinearsch. Noch einen tollen verfluchten Tag.«
Er hielt den Hut fest und sprang durch die Öffnung.
Es blitzte weiß auf.