42 Stärker als Blut

Wieder einmal saß Gawyn in dem kleinen schmucklosen Zimmer in Egwenes Gemächern. Er fühlte sich erschöpft, was aber kein Wunder war, wenn man betrachtete, was er durchgemacht hatte. Das Heilen eingeschlossen.

Seine Aufmerksamkeit wurde von einem neuen Bewusstsein in seinem Inneren in Beschlag genommen. Dieses wundervolle Aufblühen in seinem Hinterkopf, diese Verbindung zu Egwene und ihren Gefühlen. Die Verbindung war ein Wunder und ein Trost. Sie zu spüren verriet ihm, dass sie lebte.

Da er ihr Näherkommen nun vorausahnte, stand er auf, als sich die Tür öffnete. »Gawyn«, sagte sie, als sie eintrat, »in deinem Zustand solltest du nicht stehen. Bitte setz dich.«

»Mir geht es gut«, sagte er, tat aber wie geheißeen.

Sie schob den anderen Stuhl herbei und setzte sich vor ihn. Sie erschien ganz ruhig und beherrscht, aber er konnte fühlen, dass die Ereignisse der Nacht sie noch immer überwältigten. Diener kümmerten sich um die Blutflecken und Leichen, während Chubain in der ganzen Burg den Alarmzustand aufrechterhielt und jede einzelne Schwester überprüfte. Man hatte noch eine weitere Attentäterin gefunden. Sie zu töten hatte zwei Soldaten und einen Behüter das Leben gekostet.

Ja, er konnte den Gefühlssturm hinter dieser ruhigen Fassade fühlen. Während der vergangenen Monate war er allmählich zu der Annahme gelangt, dass die Aes Sedai möglicherweise lernten, überhaupt nichts mehr zu fühlen. Der Bund bewies ihm das Gegenteil. Egwene hatte Gefühle; sie ließ lediglich nicht zu, dass sie sich in ihren Zügen widerspiegelten.

Als Gawyn ihr Gesicht betrachtete und dabei den Sturm in ihr fühlte, erhielt er zum allerersten Mal eine andere Perspektive der Beziehung zwischen Behüter und Aes Sedai. Behüter waren nicht bloß Leibwächter; vielmehr waren sie diejenigen – die Einzigen -, die mitbekamen, was in ihrer Aes Sedai vor sich ging. Ganz egal wie geschickt die Aes Sedai auch darin wurde, Gefühle zu verbergen, ihr Behüter schaute immer hinter die Maske.

»Habt ihr Mesaana gefunden?«, fragte er.

»Ja, es hat aber eine Weile gedauert. Sie gab sich für eine Aes Sedai namens Danelle aus, von der Braunen Ajah. Wir fanden sie wie ein Kind plappernd in ihrem Zimmer. Sie hatte sich bereits beschmutzt. Ich bin mir nicht sicher, was wir mit ihr machen werden.«

»Danelle. Ich kannte sie nicht.«

»Sie blieb für sich«, sagte Egwene. »Vermutlich hat sie Mesaana aus diesem Grund erwählt.«

Einen Augenblick lang schwiegen sie. »Nun«, sagte Egwene schließlich, »wie fühlst du dich?«

»Du weißt, wie ich mich fühle«, antwortete Gawyn ehrlich.

»Das sollte lediglich der Beginn einer Unterhaltung sein.«

Er lächelte. »Ich fühle mich großartig. Erstaunlich. Von Frieden erfüllt. Und besorgt, nervös. Wie du.«

»Etwas muss mit den Seanchanern geschehen.«

»Dem stimme ich zu. Aber das ist es nicht, was dich bewegt. Dir passt es nicht, dass ich dir nicht gehorcht habe, aber du weißt auch, dass es die richtige Handlungsweise war.«

»Du hast nicht gegen einen Befehl verstoßen«, sagte Egwene. »Ich habe dir gesagt, du sollst zurückkehren.«

»Das Moratorium wegen der Bewachung deines Gemaches galt noch immer. Ich hätte Pläne stören und die Attentäter verscheuchen können.«

»Ja«, sagte sie. Ihre Gefühle gerieten noch mehr in Aufruhr. »Aber stattdessen hast du mir das Leben gerettet.«

»Wie sind sie reingekommen?«, wollte Gawyn wissen. »Hättest du nicht aufwachen müssen, als deine Dienerin den Alarm auslöste?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich befand mich tief im Traum und kämpfte gegen Mesaana. Burgwächter hätten den Alarm hören sollen«, erklärte Egwene. »Man hat sie alle tot aufgefunden. Anscheinend gingen die Attentäter davon aus, dass ich angelaufen komme. Sie hatten einen ihrer Leute im Empfangsraum versteckt, um mich zu töten, nachdem ich die anderen beiden gefangen nahm.« Sie verzog das Gesicht. »Es hätte funktionieren können. Ich rechnete mit der Schwarzen Ajah, vielleicht auch mit einem Grauen Mann.«

»Ich schickte eine Warnung.«

»Auch der Bote wurde tot aufgefunden.« Sie musterte ihn. »Du hast heute Nacht das Richtige getan, aber ich mache mir trotzdem Sorgen.«

»Wir werden das klären«, erwiderte Gawyn. »Ich sorge für deinen Schutz, und in allem anderen gehorche ich dir. Ich verspreche es.«

Egwene zögerte, dann nickte sie. »Nun, ich muss gehen und mit dem Saal sprechen. Mittlerweile werden sie kurz davor stehen, meine Tür aufzubrechen und Antworten zu verlangen.« Er wusste, dass sie innerlich eine Grimasse zog.

»Es könnte helfen, wenn du andeutest, dass meine Rückkehr immer ein Teil des Plans gewesen ist«, sagte er.

»Das war sie«, erwiderte sie. »Auch wenn ich nicht mit dieser Verzögerung gerechnet habe.« Sie hielt inne. » Als mir klar wurde, wie Silviana meinen Wunsch, dass du zurückkehrst, ausgedrückt hat, da machte ich mir Sorgen, dass du nie wieder zurückkehrst.«

»Das wäre um ein Haar auch so passiert.«

» Was hat den Ausschlag gegeben?«

»Ich musste lernen, wie man nachgibt. Darin war ich noch nie besonders gut.«

Egwene nickte verständnisvoll. »Ich gebe den Befehl, dass man in diesem Zimmer ein Bett aufstellt. Ich hatte immer geplant, dass sich mein Behüter hier aufhält.«

Gawyn lächelte. In einem anderen Zimmer schlafen? Tief in ihrem Inneren gab es da noch immer Überreste der ehrbaren Wirtstochter. Egwene errötete, als sie seine Gedanken mitbekam.

»Warum heiraten wir nicht?«, sagte Gawyn. »Auf der Stelle, heute. Beim Licht, Egwene, du bist die Amyrlin – in Tar Valon ist dein Wort so gut wie das Gesetz. Sag die nötigen Worte, und wir sind verheiratet.«

Sie wurde blass; seltsam, dass sie diese Vorstellung aus dem Gleichgewicht bringen sollte. Gawyn verspürte ein plötzliches Unbehagen. Sie behauptete, ihn zu lieben. Wollte sie ihn nicht…

Aber nein, er konnte ihre Gefühle fühlen. Sie liebte ihn. Aber warum dann?

Egwene klang entsetzt, als sie sprach. »Glaubst du im Ernst, ich könnte jemals noch meinen Eltern gegenübertreten, wenn ich ohne ihr Wissen heirate? Beim Licht, Gawyn, wir müssen sie wenigstens einladen! Und was ist mit Elayne? Du würdest heiraten, ohne es ihr zu sagen?«

Er lächelte. »Du hast natürlich recht. Ich setze mich mit ihnen in Verbindung.«

»Ich kann doch…«

»Egwene, du bist der Amyrlin-Sitz. Die Last der Welt selbst ruht auf deinen Schultern. Lass mich die nötigen Vorbereitungen treffen.«

»Also gut«, sagte sie. Sie verließ das Zimmer, wo Silviana bereits auf sie wartete – und ihm einen finsteren Blick zuwarf. Egwene befahl ein paar Dienern, für ihn ein Bett zu bringen, dann gingen sie und ihre Behüterin der Chroniken, gefolgt von zwei von Chubains Soldaten.

Gawyn hätte sie gern begleitet. Möglicherweise trieben sich hier immer noch Attentäter herum. Leider hatte sie recht, ihn schlafen zu schicken. Auf den Beinen zu bleiben kostete ihn eine große Anstrengung. Er schwankte etwas, dann fiel sein Blick auf eine Reihe von mit Laken bedeckten Gestalten draußen. Man würde sie erst wegbringen, nachdem die Schwestern einen Blick auf sie werfen konnten. Das Aufspüren von Mesaana und die Suche nach weiteren Attentätern hatte Vorrang gehabt.

Mit zusammengebissenen Zähnen zwang er sich, zu ihnen zu gehen und die Laken zurückzuziehen. Er enthüllte Celarks und Mazones leblose Gesichter – Celarks Kopf lag unglücklicherweise neben seinem Körper, war er doch enthauptet worden.

»Das habt Ihr gut gemacht, Männer«, sagte er. »Ich sorge dafür, dass Eure Familien wissen, dass Ihr das Leben der Amyrlin gerettet habt.« So gute Männer zu verlieren machte ihn wütend.

Soll man diese Seanchaner doch zu Asche verbrennen, dachte er. Egwene hat recht, was sie angeht. Etwas muss geschehen.

Er blickte zur Seite, wo die drei Attentäter ebenfalls unter Laken lagen – schwarze Schuhe ragten unten hervor. Zwei Frauen und ein Mann.

Ich frage mich …, dachte er und begab sich zu ihnen. Die Wächter sahen ihn an, als er die Laken zurückschlug, aber niemand hinderte ihn daran.

Die Ter’angreale waren leicht zu finden, aber auch nur, weil man ihm gesagt hatte, wonach er suchen musste. Identische schwarze Ringe aus Stein, die an den Mittelfingern der rechten Hand getragen wurden. Die Ringe hatten die Form einer Schlingpflanze mit Dornen. Anscheinend hatte sie keine der Aes Sedai als das erkannt, was sie waren, zumindest noch nicht.

Gawyn schob alle drei Ringe herunter und steckte sie in die Tasche.


Lan fühlte etwas, die Gefühle in seinem Hinterkopf wiesen einen deutlichen Unterschied auf. Er hatte sich daran gewöhnt, sie und die Frau, die sie repräsentierten, zu ignorieren.

In letzter Zeit hatten sich diese Gefühle verändert. Er war sich zusehends sicherer, dass Nynaeve seinen Bund übernommen hatte. Er konnte sie an der Weise identifizieren, auf die sie fühlte. Wie sollte man sie nicht erkennen, diese Mischung aus Leidenschaft und Sanftmut? Es fühlte sich … erstaunlich an.

Er betrachtete die vor ihm liegende Straße. Sie schlängelte sich um einen Hügel, bevor sie dann geradeaus zu einer vorausliegenden Festung führte. Die Grenze zwischen Kandor und Arafel wurde von den Silberwallburgen markiert, einer großen Befestigungsanlage auf beiden Seiten des Firchon-Passes. Es handelte sich um eine außerordentlich beeindruckende Bastion – eigentlich waren es zwei, die beide in die geraden Wände des schmalen schluchtähnlichen Passes gebaut worden waren. Wie die zwei Seiten eines gewaltigen Tores.

Wollte man durch diesen Pass, musste man eine beträchtliche Strecke zwischen zwei riesigen Steinmauern voller Schießscharten zurücklegen; hier konnte man effektiv Heere aufhalten, die in beide Richtungen wollten.

Die Grenzländer waren alles Verbündete. Aber das hielt die Arafeler nicht davon ab, eine hübsche Festung zu wollen, die den Weg hinauf nach Shol Arbela versperrte. Vor dieser Festung lagerten Tausende Menschen, die sich zu kleineren Gruppen versammelt hatten. Über einigen dieser Gruppen wehte die Flagge von Malkier – der Goldene Kranich. Andere zeigten die Flaggen von Kandor und Arafel.

»Wer von Euch hat seinen Eid gebrochen?«, wollte Lan wissen und musterte seine Karawane.

Alle Männer schüttelten den Kopf.

»Es brauchte niemand seinen Eid zu brechen«, sagte Andere. »Was hättet Ihr sonst tun sollen? Durch die Zerstörten Länder reiten? Die Grenzenlosen Berge hinauf? Es ist hier oder nirgendwo. Das wissen sie. Also warten sie auf Euch.«

Lan knurrte. Vermutlich stimmte das. »Wir sind eine Karawane«, sagte er laut. »Vergesst nicht, sollte jemand fragen, dürft ihr zugeben, dass wir Malkieri sind. Ihr dürft sagen, dass Ihr auf Euren König wartet. Das ist die Wahrheit. Ihr dürft nicht erwähnen, dass Ihr ihn gefunden habt.«

Die anderen schienen sich dabei nicht wohlzufühlen, aber sie hatten keine Einwände. Lan führte sie den Hang hinunter, diese Karawane aus zwanzig Wagen, Schlachtrössern und Dienern.

Genau das hatte er immer befürchtet. Sich Malkier zurückzuholen war unmöglich. Sie würden sterben, und zwar ganz egal, wie groß ihr Heer sein würde. Ein Angriff? Auf die Fäule? Lächerlich!

Das konnte er nicht von ihnen verlangen. Das konnte er ihnen nicht erlauben. Unterwegs auf dieser Straße wurde er resoluter. Diese tapferen Männer, die diese Flaggen gehisst hatten … sie sollten sich den scbienarischen Streitkräften anschließen und in einer Schlacht kämpfen, die etwas bedeutete. Er würde ihnen nicht das Leben nehmen.

Der Tod ist leichter als eine Feder … Rakim hatte ihm das während ihres gemeinsamen Rittes mehrmals an den Kopf geworfen. Er war Lan vor Jahrzehnten gefolgt, im Aiel-Krieg. Die Pflicht ist schwerer als ein Berg.

Lan rannte nicht vor seiner Pflicht davon. Er lief darauf zu. Dennoch rührte der Anblick der Lager sein Herz, als er die Senke erreichte und dann weiterritt. Die wartenden Männer trugen einfache Kriegerkleidung und den Hadori, die Frauen hatten einen Ki’sain auf die Stirn gemalt. Ein paar der Männer trugen Mäntel mit der Goldenen Krone auf den Schultern – das Zeichen der Königlichen Garde von Malkier. Die würden sie nur angezogen haben, wenn ihre Väter oder Großväter bei der Wache gedient hatten.

Dieser Anblick hätte Bukama in Tränen ausbrechen lassen. Er hatte die Malkieri als vernichtetes und gebrochenes Volk betrachtet, dessen Reste von den anderen Nationen absorbiert worden waren. Und doch waren sie hier, versammelten sich, nur weil sie jemand angeblich und kaum hörbar zu den Waffen gerufen hatte. Es waren viele Ältere dabei – Lan war beim Untergang seines Königreichs noch ein Säugling gewesen, und wer sich noch an diesen Tag erinnern konnte, musste nun in seinem siebten oder achten Jahrzehnt sein. Sie hatten graues Haar, aber sie waren noch immer Krieger, und sie hatten ihre Söhne und Enkel mitgebracht.

»Tai’shar Malkier!«, hei ein Mann, als Lans Gruppe vorbeikam. Der Ruf erhob sich ein, zwei Dutzend Male, als sie seinen Hadori erkannten. Niemand schien ihn als denjenigen zu erkennen, der er war. Sie gingen davon aus, dass er aus denselben Gründen wie sie gekommen war.

Die Letzte Schlacht kommt, dachte er. Muss ich ihnen das Recht verweigern, an meiner Seite zu kämpfen?

Ja, das musste er. Es war besser, wenn ihn niemand erkannte. Er hielt den Blick nach vorn gerichtet, die Hand auf dem Schwertgriff, den Mund geschlossen. Aber jedes Tai’shar Malkier entfachte in ihm dem Wunsch, sich noch aufrechter hinzusetzen. Jedes schien ihn zu stärken und anzutreiben.

Die Tore zwischen den beiden Festungen standen geöffnet, allerdings kontrollierten Soldaten jeden Mann, der hindurchwollte. Lan zügelte Mandarb, und seine Leute blieben hinter ihm stehen. Konnten die Arafeler den Befehl haben, nach ihm Ausschau zu halten? Hatte er eine andere Wahl, als einfach weiterzugehen? Die Umgehungsroute würde Wochen in Anspruch nehmen. Seine Karawane wartete, bis sie an der Reihe war, dann näherte sie sich dem Wachtposten.

»Der Zweck der Reise?«, fragte der uniformierte Arafeler, der sein Haar zu Zöpfen geflochten trug.

»Wir reisen nach Fal Moran«, sagte Lan. »Wegen der Letzten Schlacht.«

»Ihr wartet nicht hier wie die Übrigen?«, fragte der Mann und zeigte mit der behandschuhten Hand auf die versammelten Malkieri. »Auf Euren König?«

»Ich habe keinen König«, sagte Lan leise.

Der Soldat nickte langsam. Dann winkte er ein paar Soldaten herbei, um die Güter auf den Wagen zu inspizieren. »Das kostet Zoll.«

»Ich will das den Schienarern geben, für ihren Kampf in der Letzten Schlacht«, sagte Lan. »Kostenlos.« Der Wächter hob die Brauen.

»Darauf habt Ihr meinen Eid«, sagte Lan leise und erwiderte den Blick des Mannes.

»Dann keinen Zoll. Tai’shar Malkier, mein Freund.«

»Tai’shar Arafel.« Lan trieb sein Pferd an. Er hasste es, durch die Silberwälle zu reiten; sie erzeugten in ihm das Gefühl, dass tausend Bogenschützen auf ihn anlegten. Die Trollocs würden hier nicht so einfach durchkommen, falls die Arafeler gezwungen wurden, sich so weit zurückzuziehen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen das passiert war, und sie hatten hier jedes Mal standgehalten, wie in den Tagen von Yakobin dem Unerschrockenen.

Lan hielt praktisch den ganzen Weg den Atem an. Dankbar erreichte er die andere Seite und drängte Mandarb auf die Straße nach Nordosten.

»Al’Lan Mandragoran?«, rief da eine Stimme, die weit entfernt klang.

Lan erstarrte. Der Ruf war aus der Höhe erschollen. Er drehte sich um und schaute zur linken Festung zurück. Dort ragte ein Kopf aus einem Fenster.

»Dem Licht sei Dank, Ihr seid es!« Der Kopf verschwand wieder drinnen.

Am liebsten wäre Lan losgaloppiert. Aber wenn er das tat, würde derjenige sicherlich nur den anderen Bescheid geben. Er wartete. Aus einer der Eingänge der Festung rannte eine Gestalt. Lan erkannte sie: ein Junge, der noch kein ganzer Mann war und rote Kleidung und einen blauen Umhang trug. Kaisei Noramaga, der Enkel der Königin von Kandor.

»Lord Mandragoran«, sagte der junge Mann und kam angelaufen. »Ihr seid gekommen! Als ich hörte, dass man den Goldenen Kranich hisst…«

»Ich habe ihn nicht gehisst, Prinz Kaisei. Ich hatte geplant, allein zu reiten.«

»Natürlich. Ich würde gern mit Euch reiten. Darf ich?«

»Das ist keine kluge Entscheidung, Euer Hoheit«, erwiderte Lan. »Eure Großmutter ist im Süden; ich nehme an, dass Euer Vater in Kandor herrscht. Ihr solltet bei ihm sein. Was macht Ihr hier?«

»Prinz Kendral lud mich ein«, sagte Kaisei. »Und mein Vater bat mich zu kommen. Wir wollen beide mit Euch reiten!«

» Kendral auch?«, fragte Lan entsetzt. Der Enkel des arafelischen Königs? »Euer Platz ist an der Seite Eures Volkes!«

»Unsere Vorfahren schworen einen Eid«, sagte der junge Mann. »Den Eid zu beschützen und zu verteidigen. Dieser Eid ist stärker als Blut, Lord Mandragoran. Er ist stärker als der Wille oder jede Entscheidung. Eure Frau hat uns gesagt, wir sollen hier auf Euch warten; sie sagte, dass Ihr möglicherweise versucht, hier grußlos zu passieren.«

»Wie habt Ihr mich bemerkt?«, wollte Lan wissen und schluckte seinen Zorn herunter.

»Das Pferd«, sagte Kaisei und zeigte auf Mandarb. »Sie sagte, dass Ihr Euch möglicherweise verkleidet. Aber Ihr würdet niemals dieses Pferd zurücklassen.«

Verflucht sei diese Frau, dachte Lan, als er hörte, wie sich in der ganzen Festung ein Ruf verbreitete. Man hatte ihn überlistet. Verflucht sei Nynaeve. Und sie sei gesegnet. Er versuchte ein Gefühl von Liebe und Unmut durch den Bund zu ihr zu schicken.

Und dann gab er mit einem tiefen Seufzer nach. »Der Goldene Kranich fliegt nach Tarmon Gai’don«, sagte Lan leise. »Jeder Mann und jede Frau, die ihm folgen möchten, sollen sich uns anschließen und kämpfen.«

Er schloss die Augen, als der Ruf ertönte. Bald verwandelte er sich in ein Jubeln. Dann in ein Tosen.

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